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Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Dieses Buch informiert in allgemeiner Form über Psychiatrie und diedort eingesetzten Medikamente. Die Angaben wurden zwar mit größ-ter Sorgfalt erstellt, im Interesse der Lesbarkeit wurde jedoch keine Voll-ständigkeit angestrebt. Auch sind Fehler naturgemäß nie ganz auszu-schließen. Autorin und Verlag können daher keine Gewähr für dieRichtigkeit der Angaben übernehmen.
Maßgebend und verbindlich sind immer die jeweiligen Angaben im Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Waren- bezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetze als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutztwerden dürften.
ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Was Sie hier erwartet: Wenn Sie an einer chronischen oder langwieri-gen Krankheit leiden, wird das richtige Medikament zu einem Bestand-teil Ihres Lebens. Mit dieser Tatsache sollten Sie sich ohne Vorbehalteanfreunden können. Deshalb erfahren Sie hier, wie es zur Entwicklungvon Medikamenten kommt, wie ihre Wirkung und Sicherheit getestet wirdund wozu die Packungsbeilage dient. Eine Übersicht über einige Be-griffe, die in den folgenden Abschnitten benutzt werden, soll Ihnen den„Durchblick“ erleichtern.
Medikamente werden am besten aufbewahrt in einer Hausapotheke, die meistens im Badezimmer ihren Platz hat. Sehen Sie bitte nach beiIhren Vorräten „für alle Fälle“! Was nehmen Sie, wenn Sie, wie es jedemmal ergeht, Kopfweh haben? Mit größter Wahrscheinlichkeit greifenSie zu Tabletten mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure, abgekürzt ASS.
Vielleicht haben Sie in der Apotheke gezielt das Originalpräparat Aspi-rin® verlangt. Es kostet dreimal soviel wie gleich starke ASS-Tabletten,die 15 andere deutsche Hersteller anbieten. Gleichgültig, was Sie aneinem Kopfwehtag schlucken: wenn Sie sich wieder wohler fühlen, hatsich die Geldausgabe für Sie gelohnt. Selbst bei einem preisgünstigenMittel wurde ausreichend verdient an Ihrem Entschluss, nicht unnötiglange zu leiden. Ihr Doktor ging bei diesem rezeptfreien Medikamentzwar leer aus, aber Hersteller, Zwischenhändler und Apotheker habensich genau genommen an Ihrem Schmerz bereichert. Ist das unethisch? Die Diskussion über „Geschäfte mit der Gesundheit“ wird oft in moralisch empörter Tonlage geführt. Verschwörungstheorien sehen diefinsteren Machenschaften der Pharmaindustrie hinter nahezu allen Miss-ständen im Gesundheitsbereich. Ein selbstbewusster und gut informier-ter Patient wird sich daran nicht stören. Wenn sein Arzt ihn überzeugthat und erst recht wenn er spürt, dass es ihm besser geht, nutzt er jedesbewährte Produkt und jeden Fortschritt der Pharmaforschung. Für dieKosten kommt trotz gestiegener Zuzahlung überwiegend seine Kran-kenversicherung auf.
Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Anders ergeht es den Patienten und ihren Familien, die erstmals mit einer psychiatrischen Erkrankung konfrontiert sind. Plötzlich ist nichtsmehr selbstverständlich und vieles Vertraute wird unheimlich. Kann einechemische Substanz der richtige Weg sein, um eine verstörte Seele zuheilen? Bräuchte der Kranke nicht nur Ruhe und verständnisvolle Zu-wendung? Der Facharzt hat etwas über eine Störung im Gehirnstoff-wechsel erzählt. Sieht er denn die ganze Dimension des Leidens nicht?Ist er womöglich nur der Erfüllungsgehilfe einer profitgierigen Pharma-industrie? Man hat doch schon so viel gehört. Was ist richtig? Richtig ist zweifellos, dass die Pharmaindustrie ein Wirtschaftszweig ist, der Gewinne erzielen muss. Richtig ist aber auch, dass sie beiverschreibungspflichtigen Medikamenten auf die Verordnung durchselbständig entscheidende Ärzte angewiesen ist. Richtig ist leider, dassÄrzte oft nicht völlig frei entscheiden. Massive Pharmawerbung einer-seits, Vorschriften und Kostendämpfungszwänge andererseits setzen sieaus verschiedenen Richtungen unter Druck. Nur mit dem Patienten ziehtder Arzt am gleichen Strang. Beiden liegt daran, dass eine Behandlungzum gemeinsamen Erfolg wird, und beide können ihren Teil dazu bei-tragen.
Viele wichtige Medikamente wurden im 20. Jahrhundert entwickelt, als nach und nach die wirksamen Bestandteile von Naturheilmittelnentdeckt und analysiert wurden. Entsprechende Moleküle wurden syn-thetisch hergestellt und chemisch abgewandelt, um ihnen neue Eigen-schaften zu geben. Bessere Löslichkeit, bessere Verträglichkeit, schnel-lere oder anhaltendere Wirksamkeit. Andere Medikamente, wie dieersten Psychopharmaka, verdanken ihre Anwendung einzig und alleindem Zufall, allerdings in Verbindung mit der wachen Beobachtungsga-be von Medizinern. Erst die Fortschritte der Molekularbiologie ermög-lichen die gezielte Entwicklung eines Medikaments „am Reißbrett“.
Dazu gehören auch die neueren ZNS-Wirkstoffe.
Was sollte noch verbessert werden? In den folgenden Abschnitten zu speziellen Wirkstoffen werden Sie immer wieder darauf stoßen, dassdie individuelle Verträglichkeit und die sinnvollste Dosierung bishernicht sicher vorausgesagt werden können. In geduldiger Zusammen-arbeit zwischen Arzt und Patient muss dieses oft ausprobiert werden.
Bei Misserfolgen fühlen sich heutige Patienten daher manchmal wie ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Verfolgen wir den Weg des Wirkstoffs ASS, der Acetylsalicylsäure.
Wie kam es dazu, dass diese Packung jetzt in Ihrem Badezimmer-schrank bereitliegt? Wie so oft in diesem Buch beginnt es in grauerVorzeit. Entzündlich rheumatische Schmerzen sind sicher schon seit Urzeiten eine Plage der Menschheit gewesen, vor allem in feuch-ten Gebieten in der Nähe von fließenden Gewässern. Dort wach-sen bekanntlich oft Weidenbäume mit dem botanischen NamenSalix. Vielleicht hat ein Rheumageplagter in Hungersnot Weiden-rinde gekaut und bemerkt, dass seine Schmerzen nachließen. Die-ses Naturheilmittel sprach sich herum und wird bereits in den älte- sten schriftlich überlieferten Medizinlehrbüchern erwähnt.
Dann geschah lange nichts, bis im 19. Jahrhundert in Europa die Chemie weit genug war, um die Weidenrinde auf ihre wirksamenBestandteile zu untersuchen. Es fand sich ein einfaches Molekül,das zu Ehren des Baumes Salicyl genannt wurde. Das reine Pulverzu schlucken war schon erheblich einfacher, als Weidenrinde zu kauen oder daraus Tee zu machen. Deshalb wurde diese bittereMedizin zum Goldstandard für rheumatische und andere Schmer-zen. Allzu viele Patienten mussten aber auf ihren Nutzen verzich-ten, weil sie extrem unfreundlich zum Magen ist.
Inzwischen blühte die chemisch-pharmazeutische Industrie auf.
In einem dieser Start-up-Unternehmen, Bayer in Leverkusen, arbei-tete ein Chemiker solange an einer Veränderung des Salicyl-Mole- küls, bis er etwas hatte, das schmerzlindernd und trotzdem einiger-maßen verträglich war. 1899 wurde Aspirin zum Patent angemeldet.
Das Medikament machte nicht nur die Aktionäre reicher. Die erfolg-reiche Firma konnte auch ihren Forschungsetat aufstocken und neueMedikamente entwickeln. Nach einer gewissen Zeit erlischt derPatentschutz, und der Wirkstoff kann von beliebig vielen Pharma- herstellern zu einem niedrigeren Preis als Generikum (Mehrzahl:Generika) angeboten werden. (Zu den Generika siehe auch S. 168.) Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Versuchskaninchen. Weitere wissenschaftliche und technische Fort-schritte könnten diesen Prozess vereinfachen. Unter „Theragnostics“wird eine Kombination von diagnostischen und therapeutischen Ver-fahren verstanden. Damit könnte die Medikamentenbehandlung von vor-neherein auf jeden Patienten individuell zugeschnitten werden.
Mit Medikamenten muss Geld verdient werden. Deshalb betreiben Phar-makonzerne mit großem Aufwand Imagepflege und intensives Marke-ting. Die Pharmawerbung zielt auf Hoffnungen, Wünsche und Erwar-tungen bei Kranken und Ärzten. Doch allein mit hohem Werbeaufwandkann kein Pharmariese ein beliebiges Produkt durchsetzen. Man hat sichdarauf geeinigt, dass ein Medikament nach festgelegten Regeln denWirkungsnachweis erbringen muss. Die heute allgemein akzeptierteRegel ist eine randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Arznei-mittelstudie.
Zur Erläuterung: Es werden mehrere – im einfachsten Fall zwei – vergleich- bare Patientengruppen gebildet. Die Versuchspersonen beider Gruppen lei-den an der gleichen Krankheit mit vergleichbarem Schweregrad und dürfensich auch sonst nicht deutlich unterscheiden, etwa bezüglich Alter und Ge-schlecht. Die Teilnehmer müssen um ihre Zustimmung zu dem Versuch ge-beten werden, denn jeder zweite Teilnehmer wird nur mit einem Schein-medikament behandelt, mit einem Placebo. Wer welcher Gruppe zugeteiltwird, entscheidet das Los, dadurch sind die Gruppen randomisiert (zufalls-verteilt). Alle Beteiligten müssen verblindet sein. Das heißt: Weder die Pati-enten noch die behandelnden Ärzte dürfen vor Abschluss der Studie wissen,wer Placebo und wer „das richtige Mittel“, das Verum erhält.
In den Placebogruppen treten regelmäßig erstaunlich hohe Besserungsraten auf, und auch diese Placebowirkungen gehen mit teilweise ernsten Nebenwir-kungen einher. Nur ein Wirkstoff, der „unter dem Strich“ mehr von den ange-strebten Wirkungen herbeigeführt hat als das Scheinmedikament, hat die strengePrüfung bestanden. Erst dann wird er für die Behandlung eines bestimmtenKrankheitsbildes zugelassen. Gleichzeitig lässt sich dabei die statistische Häu-figkeit der Nebenwirkungen bestimmen, wie sie dann in den Beipackzettelnaufgelistet sind. Diese Zulassungsstudien sind ein bedeutender Kostenfaktor,der sich beim Apothekenpreis auf jeder Packung niederschlägt. Ein neu zuge- ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet lassener Wirkstoff ist nämlich für einige Zeit patentgeschützt und damit sehrviel teurer als ein ganz ähnlich wirkendes älteres Mittel.
Jede Marketingabteilung beteuert den innovativen Durchbruch mit ih-rem Produkt und bombardiert die Ärzte mit Reklame. Ärzte hoffenimmer, dass sie ihren Patienten noch besser helfen können. Doch amEnde ist es der Patient, der über den Erfolg eines jeden Medikamentsentscheidet. „Mit XXX komme ich wirklich viel besser zurecht als mitQQQ und allem, was ich sonst schon kenne.“ Das hört jeder Arzt gerne.
Dieses Präparat wird er auch anderen Patienten verschreiben. TeureInnovationen sind kein unüberwindbares Problem, solange die Zuzah-lung für gesetzlich Versicherte einen Höchstbetrag nicht überschreitet.
Andere Länder haben andere Lösungen, um auch finanzschwache Pa-tienten am pharmakologisch-medizinischen Fortschritt teilhaben zu las-sen.
Ärzte waren bisher prinzipiell im Nachteil gegenüber der Pharmain- dustrie und ihren Forschungsabteilungen. Natürlich sind Ärzte auch nurMenschen und lassen sich durch Werbung beeindrucken. Doch zugleichmöchten sie sicher wissen, welche Vorteile ein neues Medikament bie-tet und auf welche Risiken sie bei ihren Patienten zu achten haben. Dazuinformieren sie sich am Ergebnis der Zulassungsstudien. Niemandverdenkt es Werbeleuten, wenn sie zu ihrem Produkt nur vorteilhafteAussagen machen, denn die großen Pharmafirmen sind ihren Aktionä-ren gegenüber zu möglichst hohem Gewinn verpflichtet. Doch gleich-zeitig spielen sie in der Medizin von heute eine bedeutende Rolle alsForschungseinrichtungen. Hier sind sie den Standards der Wissenschaftverpflichtet. Selbstverständlich müssen die Autoren von wissenschaft-lichen Arbeiten ihre Verbindungen zur Industrie offenlegen. Außerdemhaben Ärzte und ihre Organisationen inzwischen die Geduld verlorenmit dem grundsätzlichen Vertuschen und Unterschlagen von ungünsti-gen oder geradezu alarmierenden Ergebnissen. Alle durchgeführtenStudien gehören vollständig veröffentlicht. Da die forschende Pharma-industrie und die Ärzteschaft aufeinander angewiesen sind, wird sicheine Lösung finden, mit der alle für die nächste Zeit leben können.
Bei der Entwicklung und beim Einsatz von Medikamenten sind vie- le und oft widerstreitende Interessen am Werk, und das wird so bleiben.
Bleiben wird es aber letztlich auch bei dem übergeordneten Ziel, Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann alltägliche Beschwerden und ernste Erkrankungen wirksam und sicherbehandeln zu können.
Sie haben Kopfweh und keine Lust, Weidenrinde zu kauen. Sie greifenzum bewährten Chemieprodukt ASS und schlucken es mit etwas Was-ser herunter. Aber halt! Sie sollten doch vorher genau den Beipackzet-tel gelesen haben! Diesen langen, eng bedruckten Papierstreifen. Beifrei verkäuflichen Medikamenten muss der Text auch medizinischenLaien verständlich sein, das macht ihn besonders umfänglich. Asthma-kranken wird von der Einnahme dieses Medikaments grundsätzlichabgeraten. Wenn Sie gewissenhaft weiterlesen, erfahren sie, dass in IhrerHausapotheke ein rezeptfreies Mittel bereit liegt, das zu Magenbluten,Gichtanfällen und anderen üblen Zuständen führen kann. Ob die Ein-nahme das Risiko wert ist, müssen Sie selbst entscheiden. Zuletzt wirdeindringlich davor gewarnt, dieses oder ein sonstiges rezeptfreies Medi-kament über längere Zeit zu nehmen, ohne einen Arzt einzuschalten.
In den folgenden Kapiteln werden überwiegend rezeptpflichtige Medikamente besprochen. Die Beipackzettel sind in der Regel nichtbesonders laienfreundlich abgefasst. Sie listen penibel alle Risiken undNebenwirkungen auf, die jemals beobachtet wurden. Die Reihenfolgeder Aufzählung ist nicht willkürlich, sondern streng nach der Häufig-keit angeordnet. Häufige Probleme führen die Liste an und was unter„selten“ oder gar „Einzelfälle“ ganz unten steht, braucht einen prak-tisch nicht zu bekümmern. Trotzdem: Wer durch seinen Zustand ohne-hin sehr geängstigt ist, sollte auf die Lektüre vielleicht lieber eine Zeit-lang verzichten.
Doch sobald sich eine erste Entspannung eingestellt hat, ist auch ein Psychiatriepatient im eigenen Interesse dazu verpflichtet. Im besten Fallwird ein liebevoller Freund oder Angehöriger mit dem Patienten dieeinzelnen Angaben durchgehen. Dabei können Hinweise auftauchen,die von individueller Bedeutung sind. Jemand litt als Kind an einemAnfallsleiden, wurde erfolgreich medikamentös behandelt und lebt seitvielen Jahren anfallsfrei und ohne Medikamente. Jetzt benötigt er ei-nen ZNS-Wirkstoff und findet im Beipackzettel unter Nebenwirkun- ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Prozentangaben zur Häufigkeit von Nebenwirkungen Damit Ärzte und Patienten sich ein ungefähres Bild von der Häufig-keit der Nebenwirkungen machen können, hat man sich darauf ge- einigt, welche Prozentzahlen sich hinter unbestimmten Ausdrückenwie „gelegentlich“ verbergen. Eine internationale Angleichung wirdangestrebt, doch zur Zeit gibt es noch zwei Lesemöglichkeiten.
Sie können erkennen, dass das Auftreten von Nebenwirkungenkünftig strenger bewertet wird. Machen Sie sich daher bitte klar, dasseine „häufige“ Nebenwirkung höchstens einen von zehn Patienten betrifft. Die anderen neun vertragen es ohne diese Beschwerden.
gen das Stichwort Krampfanfälle. Zwei Fehlentscheidungen sind hiermöglich und die eine ist so dumm wie die andere. „Das nehme ich nicht,davon bekomme ich wieder Anfälle.“ Oder: „Der Doktor wird schonwissen, was er tut.“ Doktor Allwissend ist eine Gestalt aus dem Mär-chenbuch. In der Wirklichkeit ist jeder Arzt auf die umsichtige Mitar-beit des Patienten angewiesen. Die einzig richtige Reaktion des Patien-ten ist ein Anruf in der Arztpraxis.
Menschen, die jemals eine psychiatrische Erkrankung durchgemacht haben oder noch in Behandlung stehen, sollten auch die Beipackzettelvon allen anderen Medikamenten, die sie brauchen, genau durchlesen.
Harmlose Nebenwirkungen im Bereich Nervensystem und Psyche kön-nen nahezu bei jeder biologisch wirksamen Substanz auftauchen. Beieinigen Stoffklassen sind sie ernsterer Natur, wenn auch selten. Für dieAllgemeinheit ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis daher günstig. Doch einPsychiatriepatient muss beispielsweise wissen, dass bestimmte Anti- Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann biotika zu psychotischen Zuständen führen können. Daher muss jederPatient seine Ärzte über sein höheres Risiko informieren. Nur gemein-sam können sie eine sinnvolle Entscheidung treffen.
„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ Wenn Sie bei Medikamentenden größten Vorteil für sich herausholen wollen und sich vor vermeid-barem Schaden schützen wollen, kommen Sie nicht darum herum. Le-sen Sie die Packungsbeilage! Lassen Sie sich Unklarheiten vom Apo-theker erklären! Fragen Sie Ihren Arzt, wenn Sie für Ihren Fall ein Risikosehen! Wie heißt das Mittel, das ich nehme, und wozu Konkurrenz belebt das Geschäft. Deshalb werden viele Wirkstoffe vonverschiedenen Herstellern unter verschiedenen Markennamen angebo-ten. Das kann über den Preiswettbewerb auch den Verbrauchern zugu-te kommen. Manche Firmen vermarkten denselben Wirkstoff für ver-schiedene Anwendungszwecke unter verschiedenen Namen. Kurzgesagt: es gibt wesentlich mehr Markennamen (zur Zeit in Deutsch-land 8933, laut Roter Liste) als Wirkstoffe (2359). Jeder Wirkstoff hateinen internationalen Freinamen, den generic name. Der Markennameist Teil der Marketingstrategie. Er kann anschaulich sein, wie Halb-mond® für ein Schlafmittel oder anpreisend wie Abilify®, das engli-sche Wort für befähigen, bei einem Mittel für psychotisch Kranke,klangmalerisch-einschläfernd wie Valium® oder neutral wie Risper-dal® für Risperidon. In Fachartikeln werden ausschließlich die Frei-namen benutzt und auch in Arztbriefen geht man dazu über. Patientenorientieren sich weiterhin am großgedruckten Markennamen und wis-sen oft nicht, welchen Wirkstoff sie einnehmen.
Wenn Sie in diesem Buch Angaben zu einem Medikament suchenund den Markennamen im Register nicht finden, suchen Sie bittenach dem Namen des Wirkstoffs. Er steht etwas kleiner gedrucktauf jeder Packung. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie Ihren Arztoder Apotheker, welcher Wirkstoff Ihnen verordnet wurde. Mit Neu- ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet einführungen ist auf dem dynamischen Pharmamarkt ständig zurechnen. Dieses Buch (abgeschlossen im Herbst 2005) wird daherbald unvollständig sein. Vielleicht sollen Sie eine neu zugelasseneSubstanz nehmen. Den Namen des Wirkstoffs werden Sie hier nichtfinden können. Doch jeder Wirkstoff gehört zu einer bestimmtenWirkstoffklasse. Die Hauptmerkmale der Wirkstoffklasse, die hierbeschrieben sind, werden auch für eine Neuzulassung zutreffen.
Nach Wirkstoffklassen sind auch die üblichen Verzeichnisse ge- ordnet, etwa die von Ärzten benutzte Rote Liste.
Der Verlag hat zu diesem Buch eine Internet-Seite eingerichtet, auf der Sie aktuelle Informationen zu neuen Medikamenten finden:www.wegweiser-psychopharmaka.de. Siehe auch Seite 260.
Die Überschriften der folgenden speziellen Kapitel beziehen sich auf die angestrebte Wirkung der Medikamente. Sie erfahren, welche Wirk-stoffklassen zu welchen Zwecken angewendet werden. Danach folgt einekurze Darstellung von einigen Vertretern dieser Klasse. Von der Wirk-stoffklasse lässt sich – nicht immer ganz genau – das Wirkprinzipunterscheiden. Den Arzt interessiert nicht so sehr die chemische For-mel des Wirkstoffs, das muss er den Apothekern überlassen. Der Arztfragt nach dem biologischen Wirkprinzip einer Substanz. Was machtdieses Molekül an den Nervenzellen? Wie verändert es das Zusammen-wirken der Neurotransmitter? Das Wirkprinzip auf molekularbiologischer Ebene ist bei vielen be- währten Wirkstoffen immer noch nicht genau bekannt. Falls doch, lässtes sich selten mit wenigen Worten charakterisieren. Bei den neuerenWirkstoffen ist das anders. Hier wurde ein ganz bestimmtes Wirkprinzipgezielt angestrebt. Molekularbiologische Methoden machen es möglich,aus Tausenden von Molekülen die herauszufinden, die sich an bestimmteRezeptoren binden. Danach geht es um Giftigkeit und Verträglichkeit.
Erst in der klinischen Anwendung zeigt sich, ob der neue Stoff einenechten Fortschritt darstellt. Sollte in nächster Zeit ein wirklich neuesbiologisches Wirkprinzip in die psychiatrische Behandlung eingeführtwerden, so kann es erst in der nächsten Auflage dieses Buches bespro-chen werden. Echte Innovationen sind jedoch selten. Wer damit behan-delt wird, ist ohnehin auf engste und vertrauensvolle Zusammenarbeitmit seinem Arzt angewiesen.
Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Blockade der D2-Rezeptoren deslimbischen Systems (unter anderem) Wirkung: antidepressiv, beruhigendWirkprinzip SSNRI (Selektive Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Hemmer) Wirkung: antiepileptisch bzw. Mood-Stabilizer Senkung der glutamat-vermitteltenErregbarkeit der Nervenzellen ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Was Sie hier erwartet: Möchten Sie Ihren Arzt dabei unterstützen, dassdie Verordnung eines Mittels gegen Ihre Beschwerden zu einer gemein-samen Erfolgsgeschichte wird? Hier finden Sie wichtige Hinweise,woran zu denken ist und wonach Sie von sich aus fragen sollten.
Wer sich zur Einnahme eines Medikaments entscheidet, hat vorher immer Nutzen und Risiko gegeneinander abgewogen. Bei rezeptfreienMitteln, die gegen akute Beschwerden und eher selten gebraucht wer-den, ist die Abwägung einfach. „Das Kopfweh will ich loswerden. Zueiner Magenblutung wird es von ein, zwei Tabletten schon nicht kom-men.“ Völlig anders sieht die Abwägung aus für Menschen, die wegeneines dauerhaften Zustandes auf die langfristige Einnahme eines Medi-kaments angewiesen sind. Das ist bei der „Antibabypille“ nicht andersals bei einem blutdrucksenkenden Mittel oder einem psychoaktivenWirkstoff. Wer sich dafür entscheidet, sollte vorbereitet sein auf die un-erwünschten Nebenwirkungen, die er / sie in Kauf nimmt, um die ange-strebte Hauptwirkung zu erzielen.
Alle biologisch aktiven Substanzen entfalten ihre Wirkung auf der Ebe-ne der Zellen, also an den kleinsten Bauelementen unserer Organe. ÜberBlut und Gewebeflüssigkeit erreichen die Moleküle des Wirkstoffs dieZellmembran und verändern deren Zustand. Ideal ist ein Medikament,das nur ganz bestimmte Funktionen von ganz bestimmten Organen ver-ändert. Diese Wirkungsweise nennt man selektiv und sie ist das Zielder pharmazeutischen Forschung. Doch auch von einem derartigenMittel sind Nebenwirkungen zu erwarten. Warum? Der Organismusreagiert als Ganzheit. Zellen und Organe stehen in ständigem Informa-tionsaustausch und beeinflussen sich gegenseitig. Die Veränderung aneiner Stelle löst daher Anpassungsreaktionen an anderer Stelle aus. Diemeisten altbewährten Medikamente wirken nicht sehr selektiv. Noch Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Haben die teuren Originalpräparate der forschenden Pharmaindus-trie eine bessere Wirkung als die kostengünstigeren Generika(Nachahmerpräparate), die jeweils nach einiger Zeit auf den Marktkommen? Wenn Sie den Zellen oder speziell den Synapsen diese Frage stellen, ist die Antwort ein klares Nein. Jedes Molekül einesbestimmten Wirkstoffs hat chemisch exakt die gleichen Eigenschaf-ten, und daher spielt es am Wirkungsort keine Rolle, aus welcherpharmazeutischen Produktion es stammt und was das Medikamentgekostet hat.
Doch vorher muss der Wirkstoff zur Nervenzelle gelangen. Ein eher technisches Gebiet der Arzneimittelherstellung wird als Galenikoder galenische Zubereitung bezeichnet. Hierbei geht es darum, denWirkstoff durch Hilfsmittel so zu strecken und zu verpacken, dasser angenehm zu schlucken ist, sich im Magen-Darm-Trakt vollstän-dig auflöst und sich gut in Blut und Gewebsflüssigkeit verteilt. Die-se Eigenschaften eines Präparates werden als Bioverfügbarkeitbezeichnet. Auch hier dürfen keine Unterschiede zwischen den Pro- dukten verschiedener Firmen nachweisbar sein. Die Präparatemüssen in ihrer Bioverfügbarkeit übereinstimmen. Diesen Nachweishaben die Hersteller von Generika durch Untersuchungen an Ver-suchspersonen zu erbringen. Dabei wird ihnen gesetzlich ein gewis-ser enger Spielraum für Abweichungen zugestanden, der praktischkaum von Bedeutung ist. Bestimmte Darreichungsformen, zum Beispiel schnell im Mund lösliche Schmelztabletten, werden von denPatienten angenehmer empfunden als andere. So entsteht einegewisse psychologische Bindung an ein ganz bestimmtes Marken-präparat. (Zu den Generika siehe auch Seite 159.) viel weniger die beliebten Pflanzenextrakte, die aus einem Gemisch vonverschiedenen Molekülen bestehen. Die meisten Wirkstoffe werden inder Leber, unserer körpereigenen Chemiefabrik, zunächst durch Enzy-me chemisch verändert und schließlich über Nieren und Darm ausge-schieden. Die Wirkungsdauer einer einmaligen Dosis hängt davon ab, ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet wie schnell der Stoff im Körper abgebaut und wieder ausgeschiedenwird. Als Messgröße wird die Halbwertszeit angegeben. Sie besagt, nachwelcher Zeit nur noch die Hälfte der ursprünglichen Konzentration imBlut nachzuweisen ist.
Bei der folgenden Beschreibung einzelner Wirkstoffklassen werden Sieauf die häufigsten Nebenwirkungen hingewiesen. Einige treten haupt-sächlich beim Beginn der Einnahme auf. Nach einiger Zeit hat sich derOrganismus darauf eingestellt, und das Medikament ist ab dann gutverträglich. Einige Anpassungsbeschwerden können sogar therapeutischsinnvoll sein. Antipsychotische Wirkstoffe machen anfangs oft müde.
Wer sie benötigt, hat jedoch in der Regel eine anstrengende Zeit durch-gemacht und schon länger schlecht geschlafen. Die medikamentös be-dingte Schläfrigkeit schafft hier den Ausgleich, sorgt für inneren Ab-stand zum psychotischen Erleben und wird sich nach einiger Zeit geben.
Vor ernsten Problemen stehen Patient und Arzt bei den bleibenden Nebenwirkungen. Die Aufzählung der Nebenwirkungen im Beipack-zettel ist nur eine Wahrscheinlichkeitsangabe. Für den Einzelfall erlaubtsie keinerlei Vorhersage, weil hier die Individualität des Patienten insSpiel kommt. So einmalig wie Sie als Person sind, sind Sie auch in denFeinheiten Ihres Stoffwechsels. Selbst Medikamente aus der gleichenWirkstoffklasse können sich deshalb in der individuellen Verträglich-keit deutlich unterscheiden.
Bei dauerhaften und störenden Nebenwirkungen muss die Nutzen-/Risiko-Berechnung immer wieder neu angestellt werden. Dazu gehö-ren zwei, Patient und Arzt. Bei sehr hilflosen Patienten sollten sich auchdie Angehörigen an der Verhandlung beteiligen. Als Patient erlebt manam deutlichsten die Belastung durch die Nachteile der Medikation. Einebessere mentale Verfassung fällt dagegen oft zuerst den Angehörigenauf. Der Arzt kann vermitteln. Er muss den Nutzen der Medikation unddas Risiko bei einem Verzicht auf sie ins richtige Verhältnis setzen zum Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Die Medizin entdeckt Sex und Liebe als elementare Kraftquelle undversucht, Störungen zu beheben. Die Sexualmedizin hat das wich-tigste menschliche Geschlechtsorgan erkannt. Es ist nicht irgend-wo „da unten“. Es ist das Gehirn mit seinem unerschöpflichen krea- tiven Potential. Die Psychiatrie hinkt noch etwas hinterher. SexuelleFunktionsstörungen wie mangelnde Lust oder Unfähigkeit zumOrgasmus wurden lange als schicksalhafter Ausdruck der Grund-krankheit gesehen. Immer noch werden Nebenwirkungen der Psy-chopharmaka wie ausbleibende Periode und Erektionsstörungenschulterzuckend abgetan. Sollten Sie unmittelbar oder als Partner davon betroffen sein, helfen Sie bitte mit, dass sich das schnelländert! Wenn Sie, zu welchem Zweck auch immer, einen ZNS-Wirk-stoff nehmen und seitdem bemerken, dass Ihre sexuelle Erregbar-keit und Genussfähigkeit abnimmt, reden Sie mit Ihrem Arzt dar-über! Psychiater haben nur ein Spezialgebiet, nämlich alles, wassich im Kopf abspielt. Die Bedeutung von medikamentösen Aus- wirkungen auf die Sexualität wird ihnen durch Fachliteratur undähnliches inzwischen energisch nahe gebracht. Trotzdem: Ein gu-ter Psychiater wird Sie zwar jedes Mal nach Ihrem Schlaf fragen,ob er aber schon zu denen gehört, die auch routinemäßig nach Bei-schlaf fragen, ist noch nicht so sicher. Fragen Sie ihn! Oder fragenSie Ihren Hausarzt, den Spezialisten für alle menschlichen Leiden.
Frauen können zusätzlich den Spezialisten für „da unten“ fragen.
Finden Sie sich nicht verschämt, verschwiegen und zusätzlich ge-knickt mit Einschränkungen ab, die sich womöglich beheben las-sen! Sie helfen damit nicht nur sich und ihrem Partner. Sie helfenvor allem den Medizinern, diese Probleme ernstzunehmen und nachLösungen zu suchen.
Ausmaß der störenden Effekte. Gegenseitiger Respekt führt zu den bes-ten Verhandlungsergebnissen.
Bleibt eine Besserung unbefriedigend, lohnt es sich, auch über die Dosierung zu verhandeln. Die vom Hersteller angegebenen Richtwertewurden in den Anwendungsstudien statistisch ermittelt und gelten für ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet die große Mehrzahl der Patienten. Im Einzelfall kann schon eine we-sentlich niedrigere Dosis gut wirken oder erst eine deutlich höhere denErfolg bringen. Auch das liegt an den individuellen Unterschieden derStoffwechselfunktionen. Zur Frage der individuell richtigen Dosis wirdeifrig geforscht. Der Blutspiegel vieler Medikamente lässt sich bereitsim Routinelabor bestimmen, wodurch zumindest riskante Überdosie-rungen erkannt werden. Doch dieses Vorgehen ist noch nicht zur psychia-trischen Routine geworden. Nach wie vor ist das Befinden des Patien-ten der zuverlässigste Anhaltspunkt. Das bedeutet für die Dosierungschlicht und einfach: Ausprobieren! Der Patient ist dabei nicht das hilf-lose Versuchskaninchen, als das sich manche gerne sehen. Er ist derMaßstab, an dem der Arzt seine Bemühungen ausrichtet.
Engagierte Ärzte sind darauf angewiesen, dass ihre Patienten nicht fraglos, klaglos alles schlucken und sich allenfalls im Bekann-tenkreis über Nebenwirkungen beschweren. Wenn Sie mit der Be-handlung unzufrieden sind, können Sie viel zur Verbesserung bei-tragen. Interessieren und informieren Sie sich, was und vor allemwie viel Sie von jedem Wirkstoff zu sich nehmen. Bereiten Sie sichauf den Arztbesuch vor, wie auf eine Verhandlung, bei der es aufSie ankommt. Um den „Zahnarzteffekt“ zu vermeiden – plötzlichtut nichts mehr weh – notieren Sie bitte vorher, was Sie stört, wasSie anders haben möchten und was Sie wissen wollen. Vor allemaber: Informieren Sie Ihren Doktor über alle Medikamente, die Sievon anderen Ärzten verordnet bekommen haben, und über allerezeptfreien Medikamente, die Sie öfter nehmen.
In bestimmten Kombinationen können selbst sichere und gut verträgli-che Arzneiwirkstoffe gefährlich werden. Wie kommt das? Etliche Sub-stanzen werden in der Leber durch das gleiche Enzymsystem abgebaut.
Ihre Bezeichnungen, etwa Cytochrom-P-450, müssen Sie sich nichtmerken, sie werden diesen Begriffen aber in manchen Beipackzettelnbegegnen. Stellen Sie sich darunter Spezialabteilungen der Leber vor,die für Entgiftung zuständig sind. Wenn diese gleichzeitig verschiede-ne medikamentöse Wirkstoffe entsorgen sollen, kann es zu Störungen Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann kommen. Auch ein natürlicher Bestandteil des Grapefruitsaftes kommtdem Abbau von manchen Medikamenten in die Quere. Dadurch ent-stehen entweder zu hohe Wirkspiegel im Blut oder die Substanzen wer-den beschleunigt abgebaut und verlieren einen Teil ihrer Wirksamkeit.
Unversehens erreichen Sie eine Überdosierung oder Sie belasten IhrenKörper mit einer Substanz, ohne dass diese die erwartete Wirkung brin-gen kann. In den Packungsbeilagen wird auf alle bekannten Wechsel-wirkungen hingewiesen, und diese Information braucht jeder Arzt, derIhnen etwas verschreiben möchte. Frei verkäufliche oder pflanzlicheMittel sind keine Ausnahme, auch dadurch kann es zum Wirkungsver-lust von anderen Medikamenten kommen.
Am besten zeigen Sie dem Arzt bei jedem Besuch die Beipackzettelvon allem, was Sie einnehmen, zumindest aber eine Liste IhrerMedikamente.
Bei Psychopharmaka wird eine große therapeutische Breite angestrebt.
Damit ist der Abstand gemeint zwischen einer wirksamen Dosis undeiner Dosis, die zu Vergiftungen führt. Als Einzelmittel genommen, sinddie heute üblichen Wirkstoffe auch bei hoher Dosierung sicher. Völliganders sieht es aus, wenn mehrere Psychopharmaka kombiniert wer-den. Auch in anderen Fachgebieten werden psychoaktive Wirkstoffeeingesetzt, oft ohne dass die Patienten sich dessen bewusst sind. Un-problematische Eigenschaften der einzelnen Stoffe können sich dannsummieren und den Patienten ernsthaft gefährden. Auch aus diesemGrund muss Ihr Psychiater einen vollständigen Überblick haben, überalle Wirkstoffe, denen Ihr Gehirn ausgesetzt ist. Patienten haben manch-mal Hemmungen, die zusätzlichen Behandlungsversuche, die sie un-ternehmen, „zu gestehen“. Im eigenen Interesse müssen sie dann we-nigstens einen Apotheker ins Vertrauen ziehen.
Sollte es unter einer psychoaktiven Substanz oder unter der Kombina-tion von mehreren Substanzen, einschließlich Drogen, zu Veränderun-gen kommen wie Unruhe, Benommenheit, Verwirrtheit, Temperatur-anstieg oder unwillkürliche Bewegungen, so ist der Patient ein Notfall!Es muss sofort für die Klinikeinweisung gesorgt werden.
ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Jedes Medikament, das über längere Zeit einzunehmen ist, muss sichmit der alltäglichen Lebensführung des Patienten vertragen. Vorbei sinddie Zeiten der magischen „Dreimal täglich“-Verordnungen. Für aktiveoder berufstätige Menschen war die mittägliche Einnahme von verschie-denen Tropfen, Tabletten und Dragees selten praktikabel. Sehr gleich-förmig verläuft in der Regel der Morgen vom Weckerklingeln bis zumArbeitsbeginn. Hier kann die Einnahme einer Tagesdosis zum Bestand-teil des Morgenrituals werden, sofern es sich nicht um ein ausgespro-chen schlafförderndes Mittel handelt. Einige Medikamente können denSchlaf stören und müssen daher in der ersten Tageshälfte genommenwerden. Ausreichend magenfreundlich sind die meisten ZNS-Wirkstof-fe, deshalb spricht nichts dagegen, sie auf nüchternen Magen zu schluk-ken. Probieren Sie aus, wie es am angenehmsten für Sie ist! Ins Einschlafritual lassen sich alle müde machenden Substanzen ein- bauen. Der Schlaf ist gesichert und der ausgleichende Effekt eines Anti-depressivums oder Antipsychotikums wirkt noch in den folgenden Taghinein bis zur nächsten Abenddosis.
Letztlich können nur Sie entscheiden, bei welcher Einnahmezeit Ih- nen welcher Wirkstoff zu Tagesfrische und gutem Schlaf verhilft. Viel-leicht reagieren Sie anders, als allgemein zu erwarten ist. Probieren Siein Absprache mit Ihrem Arzt ruhig herum, bevor Sie wegen unbefriedi-gender Wirkung auf ein anderes Medikament umstellen! Es hat manch-mal schon Wunder gewirkt.
Auch jugendliche Patienten sollten sich nicht scheuen, eine Dosie- rungshilfe, das bewährte Hilfsmittel der Senioren, zu benutzen, solan-ge die Dosierung schrittweise geändert wird. Vielleicht schenkt Ihnender Apotheker eines dieser kleinen Plastiktabletts mit Fächern und derBeschriftung „Montag früh“ usw. Wer in einer Klinik war, weiß, dassdamit auch das Pflegepersonal die Medikamentenausgabe vorbereitet,damit alles genau stimmt. Sorgen Sie gut für sich und machen Sie essich einfach! Einmal wöchentlich aufmerksam und in Ruhe die Käst-chen mit der richtigen Menge füllen – und für den Rest der Woche nichtmehr rechnen und zählen müssen.
Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Ist ein Anfallskranker krank oder gesund? Die Frage scheint wider-sinnig, denn die Epilepsie ist eine der typischen chronischen Krank-heiten, für die es in den meisten Fällen noch keine kausale, d. h.
ursächliche Behandlung gibt. Trotzdem leben immer mehr Anfalls- kranke wie Gesunde unter uns. Sie üben ihre Berufe aus, gründenFamilien und bekommen Kinder, von denen die meisten ganz ge-sund sind. Gut informierte und kompetent behandelte Menschen mitEpilepsie führen ein Leben in bedingter Gesundheit. Ähnliches giltfür unzählige Diabetiker, für Menschen, die einen Herzinfarkt oderSchlaganfall hinter sich haben, und für viele andere Leiden. Akute Ereignisse oder schwerwiegende Diagnosen verändern das Lebenzunächst tiefgreifend. Doch die Betroffenen können Mut fassen. Siesind nicht allein. Leidensgenossen können ihre Erfahrungen mit ih-nen teilen, Ärzte und andere Therapeuten bemühen sich um sie,und die Forschung kommt trotz aller Um- und Irrwege voran.
Um gute Behandlungsergebnisse zu erzielen, müssen sich Ärzte aller Fachrichtungen um die Compliance ihrer Patienten bemühen.
Das englische Wort compliance, ausgesprochen >kommplaienß<,Betonung auf dem ai, kann übersetzt werden als Gefälligkeit oderGefügigkeit. Als medizinischer Fachbegriff bezeichnet es jedocheher das Gegenteil von Gefügigkeit, nämlich die informierte Mitarbeitdes Patienten bei allen ärztlichen Maßnahmen. Bei chronischenKrankheitsbildern ist eine gute Compliance die unabdingbare Vor- aussetzung für einen möglichst günstigen Verlauf. Sie steht und fälltmit einer gelingenden Verständigung zwischen Fachmann und Pa-tient. Der Patient muss verstehen können, was mit einer Behand-lung bezweckt wird, und der Arzt muss verstehen, was dem Pati-enten am wichtigsten erscheint.
In der Psychiatrie versucht man mit Informationsbroschüren und psychoedukativen Gruppen, das Verständnis der Patienten für ih-ren Zustand zu verbessern und ihnen den Zweck der Medikamentezu erläutern. Besonders bemüht man sich um das Verständnis vonschizophren Erkrankten. Sie haben durch die Medikation viel zugewinnen, können aber ihre Probleme zunächst oft nicht als Aus- ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet druck einer Krankheit verstehen. Dem besseren gegenseitigenVerständnis von Patienten und Fachleuten sollen sogenanntePsychoseseminare dienen, bei denen ein intensiver Austausch von Erfahrungen zwischen den Beteiligten stattfindet, wo also auch dieFachleute etwas von den Betroffenen lernen. Aufschlussreich sinddie Erfahrungen von Menschen, die ihr psychotisches Erleben an-schaulich schildern können. Menschen, die unter der Negativ-symptomatik leiden, können das häufig nicht. Doch auch sie brin-gen ihr Unglücklichsein deutlich zum Ausdruck, indem sie über die Medikamente klagen. Selbst engagierte Fachleute reagieren dar-auf oft ratlos und frustriert.
Ein neuer Forschungsansatz beschränkt sich darauf, die Patien- ten zu befragen, wie sie sich unter einem bestimmten Medikamentfühlen. Wie gut können sie sich konzentrieren, wie wach und leben-dig fühlen sie sich? Zum Erstaunen der Fachwelt entspricht die Selbstwahrnehmung der Patienten sehr genau den objektiven Urtei-len von Experten. Auch Menschen, die gerade wegen ihrer Krank-heit nicht gut beschreiben können, wie und woran sie leiden, kön-nen offenbar klar erkennen, welches Medikament ihnen gut tut. Siemüssen danach gefragt und ernst genommen werden. Complianceberuht auf Gegenseitigkeit.
Zur praktischen Erleichterung sollen auch verschiedene Darrei- chungsformen beitragen. So kann bei den sogenannten Retardformender Wirkstoff aus einer Tablette oder Kapsel über den Tag verteilt ab-gegeben werden. Dies vereinfacht die Einnahme und sorgt für einegleichmäßig anhaltende Wirkung. Noch einfacher ist die Anwendungeines Depotpräparates: das Mittel wird gelöst in Öl und tief in die Gesäß-muskulatur injiziert. Aus diesem Depot wird der Wirkstoff über einenZeitraum von ein bis vier Wochen langsam ins Blut abgegeben. Mehrdazu im Abschnitt über Risperdal Consta® Seite 226.
Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Was Sie hier erwartet: Fast jede Hausapotheke enthält ein Schlafmit-tel „für alle Fälle“. Eine Zwanziger-Packung sollte für mindestens einJahr reichen, dann dürfte es sich um einen sinnvollen Gebrauch han-deln. Bei häufigerem Bedarf sind die Schlafgewohnheiten zu überprü-fen. Hier erfahren Sie, warum es noch kein ideales Schlafmittel für denhäufigeren oder gar langfristigen Einsatz gibt.
Der Gebrauch von Substanzen, die den Schlaf herbeiführen, lässt sich in den frühesten Kulturen nachweisen, denn seit vorgeschichtlicher Zeitwaren die psychoaktiven Eigenschaften von bestimmten Pflanzen be-kannt. Produkte aus verschiedenen Giftpflanzen wirkten zwar sicher,doch die therapeutische Breite war zu gering. Ähnliches gilt für dieschlaffördernde Wirkung des Alkohols. Als Notlösung erwiesen sichauch die ersten Produkte der Pharmaforschung, bromhaltige Schlafmittelund Barbiturate. Sie sind seit langem nicht mehr zugelassen, weil siestark abhängig machen Die Wunschliste an ein Schlafmittel, das auch über längere Zeit genom-men werden kann, ist lang.
– Es soll schnell und zuverlässig wirken. Das ist bei risikofreien Pflan- zenwirkstoffen nur bedingt der Fall.
– Es soll wenig giftig sein im Fall von versehentlicher oder suizidaler – Es muss vom Körper schnell abgebaut werden, um nicht in den Tag – Es darf nicht zu körperlicher Gewöhnung und Abhängigkeit führen.
– Es soll die natürliche Schlafarchitektur (siehe Seite 47) nicht verän- Um es kurz zu machen: Keines der bisher verfügbaren Schlafmittel ent-spricht allen diesen Anforderungen. Schlafmittel sind eine Krücke für Zei-ten, wo es nicht anders geht. Dann können sie eine wertvolle Hilfe sein.
ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Alkohol, chemisch Äthanol, ist ein einfaches Molekül mit einer kom-plexen psychoaktiven Wirkung. In geringen Mengen wirken alkoholi-sche Getränke anregend, erst bei fortgesetzter Einnahme tritt der ent-spannende Effekt in den Vordergrund. Nur wer erheblich über den Durstgetrunken hat, verfällt in einen der Narkose ähnlichen Schlaf. Als „na-türliches Schlafmittel“ kommt er daher nicht in Frage.
Chloraldurat ist chemisch und in der narkoseartigen Wirkung dem Alkohol ähnlich. Es ist ein reines Einschlafmittel, denn die Wirkungklingt bereits nach vier Stunden ab. Wie Alkohol kann es zur Entste-hung einer Abhängigkeit führen und ähnlich wie dieser belastet es dieLeber. Wegen des unangenehmen Geschmacks muss es in ziemlich gro-ßen Kapseln geschluckt werden. Psychologisch kann es bei sonst ge-sunden Leuten als Krisenhilfe gerechtfertigt sein. Die Erwartungsangst,wieder nicht einschlafen zu können, wird damit betäubt. Angesichts derRisiken ist es jedoch sicher besser, einer Einschlafstörung anders zubegegnen. Siehe Kapitel „Schlaf“, S. 46.
Beruhigungs- und Schlaftees werden in unendlicher Vielfalt unter teilweise poetischen Namen angeboten werden. Einige Pflanzenextraktehaben nach den Regeln der medizinischen Beweisführung ihren Wir-kungsnachweis erbracht. Dazu waren jedoch Dosierungen erforderlich,die mit Teezubereitungen nicht zu erreichen sind. Ein Schlummertrunkaus dem Kräuterreich wird das Umschalten von der Tagesaktivität aufSchlafbereitschaft unterstützen. Dabei sind das Ritual der Zubereitung,der Duft, die Wärme, der Geschmack entscheidende Elemente. Beiernsten behandlungsbedürftigen Schlafproblemen kann er daher dassicher wirksame „chemische“ Präparat sinnvoll ergänzen. Auf dieSchlaftablette kann möglichst bald wieder verzichtet werden, wenn einSchlaf-, Nerven- und Beruhigungstee zum Bestandteil des Einschlaf-rituals wurde. Dieser wird über psychologische Mechanismen weiterfür die Schlafbereitschaft sorgen. Mehr dazu im Kapitel „Schlaf“.
Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Pflanzliche Schlaf- und Beruhigungsmittel Die Apotheke der Natur genießt hohes Vertrauen, und Vertrauen ist eineGrundbedingung für Heilungsvorgänge. Viele pflanzliche Wirkstoffesind Gifte, die durch Geschmack und Wirkung Pflanzenfresser abschrek-ken sollen. Die Giftmischer früherer Zeiten wussten sich hier zu bedie-nen und versetzten so manchen in den Todesschlaf. Heute werden beiden frei verkäuflichen Schlafmitteln aus der Natur nur ungiftige Pflan-zen verwendet. Für Zubereitungen aus Baldrian, Hopfen, Passions-blume, Melisse ist ein subjektiv schlaffördernder Effekt nachgewie-sen. Wer sie ständig nimmt, verliert jedoch sein Grundvertrauen in dieeigene natürliche Fähigkeit zu schlafen.
Heuschnupfen und andere allergische Reaktionen haben eines gemein-sam mit der ungefährlichen, aber lästigen Reisekrankheit: Medikamente,die den Botenstoff Histamin bremsen, lindern die Beschwerden. Hist-amin „macht aufgekratzt“, was bei Juckreiz wörtlich zu nehmen ist.
Allgemein spielt es eine Rolle bei der Regulierung der Wachheit. Eindagegen wirkendes „Anti“-Medikament macht schläfrig. Die erstenAntihistaminika gegen Reisekrankheit waren wegen dieser Nebenwir-kung nur von eingeschränktem Nutzen, denn wer will schon die Ur-laubsfahrt durch eine schöne Gegend verschlafen? Es lag nahe, sie alsSchlafmittel anzubieten. Zwei Wirkstoffe, Diphenhydramin undDoxylaminsuccinat, werden unter 18 Handelsnamen rezeptfrei in Apo-theken verkauft. Für sie gilt ähnliches wie für die pflanzlichen. Beigelegentlichen leichten Schlafstörungen können sie das Problem behe-ben, bevor der besorgte Schlecht-Schläfer es unnötig aufbläht. DasRisiko der Tagesmüdigkeit mit herabgesetzter Reaktionsfähigkeit istgegeben. Manche Patienten werden psychisch davon abhängig. In derKombination mit anderen ZNS-wirksamen Medikamenten kann es zugefährlichen Wechselwirkungen kommen. Patienten mit Glaukom, dasheißt mit erhöhtem Augeninnendruck, oder mit gestörter Blasenentlee-rung dürfen sie keinesfalls nehmen. Kinder reagieren auf Antihistami-nika besonders empfindlich. Bei ihnen kann statt der gewünschten ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Dämpfung ein Erregungszustand auftreten. Es handelt sich demnachkeineswegs um risikolose Medikamente! Häufige und oft tödliche Vergiftungen mit Barbituraten und das Elendder davon abhängigen Suchtkranken machten den Einsatz dieser Schlaf-mittel immer zu einem Risiko. Erleichtert begrüßt wurde von Ärztenund Patienten daher die Neuentwicklung der Benzodiazepine. Diaze-pam unter dem Handelsnamen Valium® wurde für den Hersteller einriesiger Verkaufserfolg. Für seine sedierende, das heißt beruhigende undentspannende Wirkung gab es nicht nur in der Psychiatrie viele Anwen-dungsmöglichkeiten. Die geringe Giftigkeit blieb unbestritten. Doch bisdas große Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung gesehen wurde undins öffentliche Bewusstsein drang, vergingen viele Jahre. Heute gilt esals ärztlicher Kunstfehler, wenn Benzodiazepine unkontrolliert überlängere Zeit verschrieben werden.
Für den Einsatz als Schlafmittel und bei angstbetonten Krankheits- bildern ist Diazepam samt seinen Verwandten zu gut, um richtig gut zusein. Im System der Neurotransmitter passt das Molekül an einer Stellewie der Schlüssel ins Schloss. Dort verstärkt es den Effekt des Boten-stoffes GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) und dieser ist im Nerven-system bei allen Vorgängen der Dämpfung beteiligt. Daher dämpfenBenzodiazepine die übererregten Zellen des Gehirns bei einem epilep-tischen Anfall, sie sorgen für die Entspannung von verkrampfter Mus-kulatur, sie dämpfen die Tagesaktivität, um Schlaf zu ermöglichen undsie dämpfen Aggressivität und Angst. Sobald sich das Nervensystemauf die Anwesenheit dieses gut sitzenden Schlüssels eingestellt hat, gehtohne ihn nichts mehr. Eine starke seelische und körperliche Abhängig-keit ist entstanden. Aus einem Heilmittel wurde ein Suchtgift. Ein hero-ischer „kalter“ Entzug ist zu riskant. Das Suchtmittel muss schrittweiseentzogen werden.
Alle Benzodiazepine sind chemische Abwandlungen des Diazepam- Moleküls. Neun verschiedene Abwandlungen des Grundstoffes sindunter 36 Handelsnamen als rezeptpflichtige Schlafmittel zugelassen. Sieunterscheiden sich durch die Abbaugeschwindigkeit im Organismus.
Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann Diese wird mit der Halbwertszeit angegeben und besagt, nach wie vielStunden nur noch die Hälfte der ursprünglichen Menge im Körper wirk-sam ist. Ein Schlafmittel sollte schnell wirken und schnell abgebaut sein,denn ein langsam abgebauter Wirkstoff sammelt sich im Körper an, dieWirkung verstärkt sich mit jeder Einnahme und beeinträchtigt unauf-haltsam Reaktionsvermögen und andere Leistungen im Wachsein. Einelängere Behandlung setzt immer eine enge Vertrauensbeziehung zwi-schen Arzt und Patient voraus. Über das Abhängigkeitsrisiko ist dieAllgemeinheit bereits gut informiert und jeder Beipackzettel weist dar-auf hin, dass die Einnahme zeitlich eng zu begrenzen ist. In jedem Ein-zelfall ist das Risiko, abhängig zu werden, gründlich abzuwägen gegenden Nutzen eines erholsamen Schlafes.
Zugelassen als Schlafmittel sind folgende Wirkstoffe:Brotizolam Bestimmte Benzodiazepine werden auch gegen Ängste eingesetzt. Siehedas folgende Kapitel „Wirkstoffe bei Ängsten, Zwängen und Depressi-on“.
Seit den 90er Jahren sind neue Schlafmittel auf dem Markt, die che-misch nicht mit Benzodiazepinen verwandt sind. Neurobiologisch set-zen sie mit einem ähnlichen Schlüssel an. Der Wirkstoff Zopiclon wirdunter 19 Handelsnamen als rezeptpflichtiges Schlafmittel angeboten.
Nahe verwandte Wirkstoffe (Zolpidem, Zaleplon) unterscheiden sichnur in der Halbwertszeit. Dieser Unterschied ist jedoch unbedeutend,denn alle erfüllen die wichtige Forderung einer kurzen Wirkdauer. Ausder Liste der Nebenwirkungen wird die Ähnlichkeit mit der Benzodia-zepinwirkung ersichtlich. Das Werbeargument „geringes Abhängig-keitsrisiko“ ist daher mit größter Skepsis zu betrachten. Außerdemkommt es zu Wechselwirkungen mit allen Psychopharmaka und vielenanderen Medikamentengruppen. Auch diese Mittel sind nur geeignetfür die kurzzeitige Behandlung von Schlafstörungen, wenn sicher ist,dass dahinter keine körperliche oder mentale Erkrankung steckt.
ZENIT Verlag, München – Alle Rechte vorbehalten Verwendung ausschließlich zu privaten Zwecken gestattet Die „Naturstoffe“ Tryptophan und Melatonin Tryptophan ist eine natürliche Substanz, eine Aminosäure, und kommtin vielen Lebensmitteln vor. Naschkatzen werden sich freuen, dass Scho-kolade sehr viel Tryptophan enthält. Aus Tryptophan stellt unser Kör-per zwei wichtige Botenstoffe her: Serotonin und Melatonin. AlsNahrungsergänzungsmittel mit schlaffördernder und antidepressiverWirkung stand es in den USA hoch im Kurs, bis es durch Verunreini-gungen bei der Herstellung zu einigen tödlichen Vergiftungen kam.
Seither ist es dort verboten. In Deutschland ist es aus sicherer Herstel-lung erhältlich, ohne Rezept, aber nur in Apotheken. Der Nutzen istähnlich zu beurteilen wie bei Schlafmitteln auf pflanzlicher Basis. Werdamit gut schläft, käme vielleicht auch ganz ohne aus. Ein groß geschrie-benes ABER gilt für alle Leser und Leserinnen, die Psychopharmakanehmen. In der Kombination mit anderen Wirkstoffen, die in die Ge-hirnchemie eingreifen, kann es zu einer nicht vorhersehbaren Wirkungs-verstärkung kommen. Ihr Serotoninspiegel kann zu hoch ansteigen undSie gefährden. Lieber lassen! Melatonin ist ein Hormon und damit eine natürliche Substanz. Es entsteht in den Zellen der Zirbeldrüse, die tief im Inneren des Gehirnssitzt, dort wo sich die von den Augen kommenden Sehnerven kreuzen.
Die Produktion beginnt bei geschlossenen Augen, in Dunkelheit, undendet, sobald es wieder hell wird. Ganz sicher ist Melatonin am Um-schalten des Gehirns von Tagesbetrieb auf Schlafbetrieb beteiligt. Sei-ne weitere Bedeutung wird noch intensiv erforscht. Es scheint dienächtliche Abspeicherung von Gedächtnisinhalten zu fördern. DieMenge der körpereigenen Herstellung ist dem jeweiligen Lebensalterangepasst.
Aus Vermutungen und einigen Tierversuchen wurden viel weiter reichende Schlüsse gezogen. Die Gesetze in den USA erlauben den frei-en Verkauf, und dort wurde Melatonin als Jungbrunnen und zur Vor-beugung gegen Krebs jeder Art beworben. Genaue Untersuchungenkonnten keine dieser Behauptungen auch nur ansatzweise bestätigen.
Statt dessen wurde klar, dass es natürlich seine Risiken hat, wenn manein Hormon, das der Körper sparsam dosiert, in willkürlichen Riesen-mengen schluckt. In Deutschland wird Melatonin als Medikament Aus: Wegweiser Psychopharmaka von Carola Burkhardt-Neumann bewertet und ist offiziell für keinen Heilzweck zugelassen. Sinnvoll kanneine einmalige Einnahme sein, um nach einer Flugreise über etlicheZeitzonen einfacher in den örtlichen Tag-Nacht-Rhythmus zu kommen.
Die auf dem USA-Markt angebotene Dosis pro Kapsel ist zu diesemZweck jedoch deutlich überhöht.
Wer es ausprobieren möchte, besorgt es sich besser über eine Apo- theke als aus dem Versand. Es muss ganz sicher sein, dass es sich umsynthetisch hergestelltes Melatonin handelt. Das aus Rinderhirnen ge-wonnene ist billiger, aber in den Zeiten des Rinderwahnsinns nicht ge-rade das, was ein gesundheitsbewusster Mensch freiwillig zu sich neh-men wird.
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