Zur Notwendigkeit einer vertikalen Integration von Versicherungs- und
vertikalen Integration von Versicherungs- und Reparaturleistungen
Working Papers on Risk and InsuranceHamburg University
Working Papers on Risk and InsuranceHamburg University
To r z u r W e l t d e r W i s s e n s c h a f t
Managed Claims: Zur Notwendigkeit einer vertikalen Integration von Versicherungs- und Reparaturleistungen ISSN 1617-8653
1 Prof. Dr. Martin Nell, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Versicherungsbetriebslehre der Univer-
sität Hamburg, Von-Melle-Park 5, 20146 Hamburg.
Managed Claims: Zur Notwendigkeit einer vertikalen Integration von Versicherungs- und Reparaturleistungen Abstract
The paper deals with the so called external moral hazard. This problem occurs, when-ever
insurance companies bear the repair costs of the insured in the case of a damage. The insurance coverage results in a decrease of the price elasticity of demand and therefore in higher prices for repair services and goods, since markets for repair goods are usually imperfect and prices are thus above marginal costs. Empirical evidence is given that the price increase for repair services and goods due to external moral hazard is quite substantial. It is argued in this paper that the only way to tackle external moral hazard efficiently is a vertical integration of insurance on the one hand and the supply of repair goods and services on the other hand: Insurance companies have either to provide repair goods and services by themselves or make cooperation agreements with providers.
1. Einleitung
Das moralische Risiko ist ein in der Versicherungswissenschaft und Versicherungspraxis seit
langem bekanntes und intensiv untersuchtes Phänomen. Es besagt besteht darin, dass
Versicherungsnehmer in sehr vielen Sparten ihre Schadenverteilung beeinflussen können,
ohne dass die Versicherer dies beobachten können. Dadurch entsteht eine Externalität, da der
Versicherungsnehmer den Nutzenentgang für ein sorgfältiges, kostenbewusstes Verhalten
selber tragen muss, während die Erträge dieses Verhaltens nur in Rahmen einer eventuellen
Selbstbeteiligung bei ihm, ansonsten aber beim Versicherer anfallen. Dieser kann sie auch
nicht an den Versicherungsnehmer über eine Prämienreduktion weitergeben, da er ja
annahmegemäß das Verhalten des Versicherungsnehmers nicht beobachten kann.
Strategien zur Begrenzung des moralischen Risikos setzen vor allem bei der
Produktpolitik an. Die Nachfrage nach Versicherungsschutz wird in dem Sinne rationiert, dass
die Versicherungsnachfrager weniger Versicherungsschutz als in einer Situation ohne
asymmetrische Informationsverteilung erhalten. Durch die erhöhte Selbstbeteiligung wird das
Interesse der Versicherungsnehmer an geringen Schäden und damit an Schadenverhütung
Eine bislang kaum beachtete Spielart des moralischen Risikos ist das sogenannte
externe moralische Risiko, das im Mittelpunkt dieser Arbeit steht. Es tritt immer dann auf,
wenn die Leistung des Versicherers im Schadenfall in einer Erstattung der Ausgaben des
Versicherten bzw. des Geschädigten besteht. Die Kostenerstattung des Versicherers verringert
die Preiselastizität der Nachfrage und zieht höhere Preis für Reparaturleistungen nach sich.
Wie in dieser Arbeit ausführlich dargestellt wird, reicht die Produktpolitik nicht aus,
um dem externen moralischen Risiko wirksam begegnen zu können. Erfolgversprechend ist
hingegen eine Strategie, bei der Versicherer in den betroffenen Sparten die klassische
Schadenregulierung, die in der Erstattung der in einem Schadenfall entstehenden Kosten
besteht, aufgeben und statt dessen die zur Schadenbehebung notwendigen Produkte und
Leistungen selber anzubieten. Das externe moralische Risiko hat daher gravierende
Konsequenzen für den Leistungserstellungsprozess und die interne Organisationsstruktur von
Versicherungsunternehmen, da diese Politik der „Managed Claims“ eine zunehmende
vertikale Integration von Versicherungs- und Reparaturleistungen zur Folge hat.
Der Aufsatz ist wie folgt gegliedert: Die Grundlagen des externen moralischen Risikos
werden in Abschnitt 2 behandelt. Anhand von zwei Reparaturmärkten wird seine Bedeutung
aufgezeigt (Abschnitt 3). In Abschnitt 4 wird erläutert, warum die naheliegende Möglichkeit,
das externe moralische Risiko zu vermeiden, indem die Versicherungsleistungen nicht als
Kostenerstattung gezahlt werden, sondern direkt an den Eintritt vertraglich festgelegter
Umweltzustände geknüpft wird, nicht praktikabel ist. Die vertikale Integration von Reparatur-
und Versicherungsmärkten als die erfolgversprechende Strategie gegen das externe
moralische Risiko ist Gegenstand von Abschnitt 5. Abschnitt 6 beinhaltet eine kurze
2. Das externe moralische Risiko: Theoretische Grundlagen
Der Begriff des externen moralischen Risikos bezeichnet Anpassungsreaktionen der am
Versicherungsverhältnis mittelbar Beteiligten auf versicherungsinduzierte Verhaltens-
änderungen der Versicherungsnehmer.3 Es tritt immer dann auf, wenn die Leistung des
Versicherers nicht in einer der Höhe nach vertraglich festgelegten Geldzahlung, sondern in
einer Erstattung der Ausgaben des Versicherten (bzw. des Geschädigten in der
Haftpflichtversicherung) besteht. Beispiele hierfür sind die Krankenversicherung, bei der der
Versicherer die Kosten der Heilbehandlung trägt sowie die Kfz-Versicherung, bei der der
Versicherer die Reparaturkosten, aber auch sonstige Ausgaben wie beispielsweise die Kosten
Das Problem des externen moralischen Risikos entsteht daraus, dass Individuen ihr
Nachfrageverhalten nach Leistungen und Produkten, die sie in Folge eines Schadenfalls
benötigen, ändern, wenn die anfallenden Ausgaben vom Versicherer erstattet werden: Die
Preiselastizität der Nachfrage sinkt, da der Preis für versicherte Nachfrager als
Entscheidungskriterium an Bedeutung verliert. Dies wiederum impliziert in der Regel ein
höheres Preisniveau auf Reparaturmärkten. Versicherungsinduzierte Preiserhöhungen bilden
den Kern des externen moralischen Risikos.
2 Zum moralischen Risiko vgl. u.a. die grundlegenden Arbeiten von Arrow (1963); Spence/Zeckhauser (1971);
Pauly (1974); Holmström (1979); Shavell (1979).
3 Während andere Formen des moralischen Risikos in der Versicherungsökonomie eingehend untersucht
wurden, ist das „externe“ moralische Risiko bislang vergleichsweise wenig beachtet worden, obwohl es von erheblicher empirischer Relevanz ist. Vgl. aber Frech/Ginsburg (1975); Knappe/Leu/Schulenburg (1988); Nell (1993) sowie Gaynor/Haas-Wilson/Vogt (2000).
Im Folgenden wird herausgearbeitet, wie sich das Nachfrageverhalten in Abhängigkeit
von der Ausgestaltung des Versicherungsvertrages ändert. Betrachtet wird dabei die Nachfrage
eines repräsentativen Individuums nach einer „Reparaturleistung“ unter der Bedingung, dass ein
Umweltzustand eingetreten ist, bei dem es einen prinzipiellen Bedarf nach dieser „Reparatur-
leistung“ besitzt. Die Nachfragefunktion eines unversicherten Individuums wird als „originäre
Nachfragefunktion“(ON) bezeichnet.4 Die durch Versicherungsschutz induzierten Änderungen
der Nachfragefunktion werden unter Zugrundelegung folgender Prämissen untersucht:
- Bei seiner Nachfrageentscheidung richtet sich der Versicherungsnehmer nach dem Preis,
den ihm unter Berücksichtigung der Versicherungsleistung für ein Produkt als Aufwand
verbleibt (Nettopreis) und nicht nach dem tatsächlichen Preis.
- Die Versicherungsprämie, die ein Versicherungsnehmer zu zahlen hat, ist unabhängig
von seinem Verhalten (verhaltensunabhängige Tarifierung).
- Einkommenseffekte unterschiedlich hoher Prämienzahlungen werden nicht
Unter diesen Annahmen kann die Marktnachfragefunktion (MN) unter Berücksichtigung
der Versicherungsleistung konstruiert werden. Sie gibt an, wie viel ein Individuum bei
alternativen Nettopreisen nachfragt. Der Verlauf der neuen Nachfragefunktion hängt also von
Art und Höhe der Versicherungsleistungen im Schadenfall ab.
Zunächst wird der Fall betrachtet, dass jeder Schaden in voller Höhe vom Versicherer
getragen wird. Dies ist bei der reinen Interessenversicherung der Fall, die allerdings in der
Realität eine relativ seltene Versicherungsform ist.
Zudem kommt es aber auch in der Haftpflichtversicherung zumeist zu einer
vollständigen Übernahme der Schadenkosten durch den Versicherer.5 Der Nachfrager ist dort
nicht der Versicherungsnehmer, sondern der vom Versicherungsnehmer Geschädigte, der
Anspruch auf vollständigen Ersatz seines Schadens hat.
Der Nettopreis beträgt für den versicherten Nachfrager null. Seine
Marktnachfragefunktion verläuft senkrecht und er wird daher unabhängig vom Marktpreis (P)
stets seine Sättigungsmenge nachfragen (vgl. Abb.16).
4 Der Begriff geht auf Schulenburg (1987), S. 43 zurück.
5 Eine vollständige Übernahme der Schadenkosten durch den Versicherer findet nur dann nicht statt, wenn sich
entweder Versicherer und Geschädigter auf eine pauschalierte Geldzahlung verständigen oder aber die Schadenkosten die Versicherungssumme des Haftpflichtvertrages des Versicherungsnehmers übersteigt.
6 In den Abbildungen wird aus Vereinfachungsgründen eine lineare Nachfragefunktion abgebildet.
Abb. 1: Die Marktnachfragefunktion bei reiner Interessenversicherung
Bei vollständigem Versicherungsschutz ist der Preis für Reparaturleistungen als
Entscheidungskriterium für die Nachfrager ohne Bedeutung. Anbieter müssen nicht
befürchten, bei höheren Preisforderungen Nachfrage von versicherten Nachfragern zu
verlieren. Daher ist vollständiger Versicherungsschutz bei externem moralischem Risiko eine
offensichtlich wenig geeignete Versicherungsform. Deshalb werden im folgenden mit der
prozentualen Selbstbeteiligung und der Pauschalentschädigung zwei Entschädigungsformen
betrachtet, bei denen der Versicherungsnehmer an den Kosten für die Reparaturleistungen
Bei der prozentualen Selbstbeteiligung werden die Schadenkosten (SK) in einem
festgelegtem Verhältnis zwischen Versicherer und Versichertem aufgeteilt. Es sei Æ der Anteil
des Versicherers an den Schadenkosten. Dann beträgt die Versicherungsleistung (I):
Da der Versicherer den Anteil Æ an den nachgefragten Reparaturleistungen übernimmt,
beträgt der Nettopreis des Nachfragers:
Die Marktnachfragefunktion verläuft bei prozentualer Selbstbeteiligung um den Faktor
z / 1/(1 - Æ) steiler als die originäre Nachfragefunktion (vgl. Abb. 2), da gilt:
Abb. 2: Die Marktnachfragefunktion bei einer prozentualen Selbstbeteiligung
Die Preiselastizität der Nachfrage ist ceteris paribus um so geringer, je größer z wird,
oder anders ausgedrückt, je niedriger die prozentuale Selbstbeteiligung 1 - Æ ist.
Bei einer Pauschalentschädigung zahlt der Versicherer im Schadenfall pro
nachgefragter Reparaturleistung eine vertraglich festgelegte Versicherungssumme an den
Versicherten. Die Versicherungsleistung ist also unabhängig vom Preis für die
Reparaturleistung. Die Erstattung der Versicherung pro nachgefragter Reparaturleistung
Die Marktnachfragefunktion verläuft parallel zur originären Nachfragefunktion, wobei
der Abstand von der Höhe der Pauschalentschädigung bestimmt wird. (vgl. Abb. 3).7
7 Wenn die Pauschalentschädigung höher als der Preis ist, erzielt der Versicherungsnehmer pro nachgefragter
Reparaturleistung einen monetären Gewinn. Da dies erhebliche Anreizprobleme zur Folge hat, wird im
Abb. 3: Die Marktnachfragefunktion bei einer Pauschalentschädigung
Im Folgenden wird untersucht, welche Auswirkungen die beiden Entschädigungsformen
„prozentuale Selbstbeteiligung“ und „Pauschalentschädigung“ auf die Preise für
Reparaturleistungen haben. Märkte für Reparaturleistungen sind in der Regel unvollkommene
Märkte mit einer großen Zahl von Anbietern. Sie lassen sich am besten durch die Marktform der
monopolistischen Konkurrenz charakterisieren, wobei die einzelnen Anbieter als Preissetzer
agieren.8 Es wird die Preispolitik eines repräsentativen Anbieters betrachtet.
Es wird zunächst unterstellt, dass sämtliche Nachfrager einen Versicherungsvertrag
mit prozentualer Selbstbeteiligung in Höhe von 1 - Æ besitzen. Die Preis-Absatz-Funktion
(PAF) des Anbieters in Abhängigkeit von der Ausbringungsmenge (S) lautet dann:
folgenden unterstellt, dass die Versicherungssumme so gewählt wird, dass sie niedriger als der Produktpreis ist. Zu einer ausführlichen Diskussion hierzu vgl. Nell (1993), S. 168 ff.
8 Beispiele hierfür sind unter anderem Märkte für KFZ-Reparaturen, Abschleppdienste, Mietwagen und
Die Produktionskosten in Abhängigkeit von der Ausbringungsmenge werden mit K(S)
bezeichnet Dann ist die Gewinnfunktion des Anbieters:
Die Bedingungen erster und zweiter Ordnung für ein Gewinnmaximum lauten:
z ⋅ [P(S) + S ⋅ P (
Um die Preiswirkung des Versicherungsschutzes zu ermitteln, wird (6) nach z
Nach implizitem Differenzieren von (8) sowie einigen Umformungen ergibt sich:9
Da der Nenner stets negativ sein muß, damit ein Maximum vorliegt (vgl. (9)), wird (11)
genau dann positiv, wenn der Zähler negativ ist, also:
P(S) ⋅ z ⋅ [2 ⋅ P′
Da die Steigung der Grenzertragsfunktion stets kleiner sein muss als die Steigung der
Preisabsatzfunktion und zudem der Grenzertrag immer kleiner als der Produktpreis ist, ist die
linke Seite von (12) immer kleiner als null. Nichtfallende Grenzkosten der Produktion sind
folglich eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung für einen mit abnehmender
prozentualer Selbstbeteiligung der Nachfrager steigenden Preis der Reparaturleistungen.
Haben alle Nachfrager auf einem Markt Versicherungsschutz, bei dem sie im Schadenfall
pro nachgefragter „Reparatureinheit“ eine Pauschalentschädigung (VS) vom Versicherer
9 Zu einer ausführlichen Herleitung vgl. Nell (1993), S. 178ff.
Die Gewinnfunktion sowie die Bedingungen erster und zweiter Ordnung lauten:
Um die Preiswirkung der Pauschalentschädigung zu ermitteln, wird (13) nach VS
Wiederum stellt sich heraus, dass nichtfallende Grenzkosten eine hinreichende
Bedingung für eine positive Beziehung zwischen VS und P sind, da (17) größer als null ist, wenn
Die weitere Argumentation verläuft analog zur prozentualen Selbstbeteiligung.
Es stellt sich die Frage, welcher Verlauf der Grenzkostenkurve für „Reparaturmärkte“
typisch ist. Bei vielen der wichtigsten „Reparaturmärkte“ handelt es sich um
Dienstleistungsmärkte, auf denen die Arbeitszeit der Leistungsanbieter nur in sehr engen
Grenzen substituierbar ist.11 Die Grenzkosten werden daher hauptsächlich durch die Arbeitszeit
des Anbieters determiniert. Daher ist auf solchen Märkten von konstanten oder zunehmenden
Folgerung 1
Sind die Nachfrager auf einem Reparaturmarkt versichert und werden ihre Kosten ganz oder
teilweise von der Versicherung erstattet, so bewirkt dies unabhängig von der Ausgestaltung
10 Zu einer ausführlichen Herleitung vgl. Nell (1993), S. 181f.
11) Gute Beispiele hierfür sind der Markt für Rechtsanwaltsleistungen, sowie die arztspezifischen
des Versicherungsvertrages in der Regel einen Anstieg des Preisniveaus auf den
Es wurde bisher gezeigt, dass bei üblichem Verlauf der Kostenfunktion des Anbieters
Versicherungsschutz der Nachfrager sowohl bei Versicherungsverträgen mit proportionaler
Selbstbeteiligung als auch mit Pauschalentschädigung zu höheren Anbieterpreisen führt. Es
schließt sich die Frage an, bei welcher Entschädigungsform der Preiseffekt geringer ausfällt.
Damit wir dieser Frage nachgehen können, werden z und VS so gesetzt, dass sie im Optimum zu
derselben Ausbringungsmenge führen. Bei gleicher Ausbringungsmenge sind die Kosten und
somit auch die Grenzkosten und Grenzerlöse gleich hoch. Daher können (15) und (8)
Die rechte Seite von (21) ist eindeutig kleiner als die rechte Seite von (6), da der letzte
Term von (21) stets negativ ist. Folglich ist bei gleicher Ausbringungsmenge an
Reparaturleistungen das Preisniveau bei einer proportionalen Selbstbeteiligung immer höher als
Folgerung 2
Das externe moralische Risiko fällt bei einer Pauschalentschädigung geringer aus als bei einer
Pauschalentschädigungen sind folglich eher als prozentuale Selbstbeteiligungen
geeignet, das externe moralische Risiko zu begrenzen. Allerdings kommt es auch bei
Pauschalentschädigungen zu erheblichen versicherungsinduzierten Preiserhöhungen auf
Reparaturmärkten. Um dies zu verdeutlichen, werden die gewinnmaximalen Preise für zwei
Marktsegmente verglichen, die sich nur dadurch unterscheiden, dass die Nachfrager im ersten
Marktsegment versichert sind und eine Pauschalentschädigung pro nachgefragter Einheit
erhalten, während die Nachfrager im zweiten Marktsegment unversichert sind. Die
Voraussetzungen für eine monopolistische Preisdifferenzierung seien erfüllt, und es wird
zusätzlich unterstellt, dass die Preis-Absatz-Funktionen linear verlaufen.
Die Preis-Absatz-Funktionen auf den beiden Teilmärkten lauten:12
Gleichsetzen der Grenzerlöse führt zu:
Der Vergleich von (25) mit (23) zeigt, dass das Preisniveau für die versicherten
Nachfrager um die Hälfte der Pauschalerstattung höher ist als für die unversicherten
Nachfrager, oder anders ausgedrückt: jede Geldeinheit Erstattung durch den Versicherungs-
schutz erhöht das Preisniveau für das Segment der versicherten Nachfrager um eine halbe
Folgerung 3
Auch bei Pauschalentschädigungen kommt es zu erheblichen versicherungsinduzierten
Das obige Beispiel deutet darauf hin, dass das externe moralische Risiko ein sehr
gravierendes Problem für Versicherer und Versicherungsnehmer darstellen kann. Allerdings
wurden die Ergebnisse unter vereinfachten Modellannahmen abgeleitet. Hier sind vor allem
die Ausblendung von Konkurrenzbeziehungen zwischen den Anbietern sowie die dem
Beispiel zugrunde liegende Annahme einer Marktsegmentierung zwischen versicherten und
unversicherten Nachfragern und einer linearen Preis-Absatz-Funktion zu nennen. Daher wird
12 „PE“ steht für das Segment der versicherten Nachfrager mit Pauschalentschädigung, während „un“ das
Segment mit den unversicherten Nachfragern bezeichnet.
im folgenden Abschnitt überprüft, ob sich versicherungsinduzierte Preiserhöhungen auf
Reparaturmärkten auch empirisch nachweisen lassen.
3. Beispiele für die empirische Bedeutung des externen moralischen Risikos
Bei einer empirischen Untersuchung des externen moralischen Risikos ist zu prüfen, ob und
in welcher Höhe Versicherungsschutz der Nachfrager zu Preiserhöhungen auf dem
betrachteten Reparaturmarkt führt. Wird auf einem Markt nicht zwischen versicherten und
unversicherten Nachfragern differenziert, ist eine empirische Überprüfung kaum möglich,
denn dazu müsste der Preis bekannt sein, der sich bilden würde, wenn es ausschließlich
unversicherte Nachfrager gäbe. Ein solcher Preis ist aber nicht beobachtbar und auch nur
unter problematischen Annahmen schätzbar.
Wesentlich einfacher ist eine Überprüfung des externen moralischen Risikos auf
Märkten, auf denen Segmente mit versicherten und unversicherten Nachfragern nebeneinander
existieren. Aus der Differenz zwischen den Preisen in den beiden Marktsegmenten lassen sich
Rückschlüsse auf das Ausmaß das externen moralischen Risikos ziehen. Im Folgenden werden
mit dem Mietwagenmarkt sowie dem Pharmamarkt beispielhaft zwei Märkte näher betrachtet,
auf denen eine solche Marktsegmentierung in versicherte und unversicherte Nachfrager existiert.
Auf dem Mietwagenmarkt bestehen die Segmente des Unfallersatzwagengeschäfts
(UEG) sowie des Freien Geschäfts (FG). Bei den Nachfragern im UEG handelt es sich durchweg
um Personen, deren Fahrzeug in einem von ihnen unverschuldeten Verkehrsunfall beschädigt
wurde und die gegenüber dem Kfz-Haftpflichtversicherer ihres Unfallgegners Anspruch auf
einen Ersatzwagen haben. Daher treten in diesem Marktsegment ausschließlich Nachfrager auf,
deren Kosten des Unfallersatzwagens von einem Versicherer erstattet werden. Demgegenüber
sind die Nachfrager im FG unversichert. Der Anteil des UEG am gesamten Mietwagenmarkt
Die Preisdifferenzen in den beiden Segmenten UEG und FG lassen sich recht problemlos
ermitteln, da die Preisverhältnisse auf dem Mietwagenmarkt regelmäßig getrennt für die beiden
Marktsegmente ermittelt werden.14 Dabei werden für verschiedene PKW-Klassen und PLZ-
Gebiete die von den Autovermietern an häufigsten genannten Tarife erfasst. Die
13 Vgl. Bundesverband der Autovermieter e.V. (1998), S.3
14 Das Unternehmen EurotaxSchwacke GmbH veröffentlich regelmäßig einen Auto-Mietpreisspiegel, in dem die
Preise im UEG und FG getrennt ausgewiesen werden.
durchschnittlichen Mietpreise der Jahre 1997-1999 der am häufigsten nachgefragten PKW-
Klasse 515 in 100 zufällig ausgewählten PLZ-Gebieten sind in der folgenden Tabelle dargestellt.
Durchschnittliche Tages- und Wochentarife in Fahrzeugklasse 5 für 100 zufällig ausgewählte Postleitzahlgebiete16
Zu den Preisen des FG wurde grundsätzlich ein Vollkaskozuschlag hinzugerechnet, da
die Preise im UEG üblicherweise Vollkaskoschutz enthalten, während in den Tarifen des FG
häufig nur Haftpflicht und zum Teil Teilkaskodeckungen eingeschlossen sind, in den Daten
aber keine Angaben über den genauen Versicherungsumfang bei den einzelnen Preisen
gemacht werden. Durch diese Vorgehensweise werden die Preise im FG tendenziell zu hoch
Die Preise im UEG lagen im Betrachtungszeitraum um 15%-25% über denen im FG. Bei
diesen Werten handelt es sich um die Untergrenze der tatsächlichen Preisdifferenzen, die
aufgrund der pauschalen Berücksichtigung des Vollkaskozuschlages im FG eher höher liegen.
Als zweites Beispiel betrachten wir den Pharmamarkt. Dort besteht zum einen das
Segment des Apothekenmarktes, auf dem fast ausschließlich versicherte Individuen
15 Es handelt sich um die untere Mittelklasse.
16 Vgl. SchwackeLISTE-Auto-Mietpreisspiegel (1997), (1998), (1999)
17 In den Klammern ist die Standardabweichung der Mietpreise angegeben.
nachfragen18, zum anderen gibt es das Krankenhaussegment, auf dem die (unversicherten)
Krankenhausapotheken ihren Medikamentenbedarf decken. Die Krankenhausapotheken haben
einen Anteil von ca. 20% am Gesamtumsatz apothekenpflichtiger Arzneimittel.19
Auf dem Apotheken- und Krankenhausmarkt existieren unterschiedliche Vertriebswege:
Während die Krankenhausapotheken ihre Medikamente zumeist direkt vom Hersteller beziehen,
werden die öffentlichen Apotheken über den Großhandel beliefert. Daher besteht auf dem
Apothekenmarkt in Deutschland eine zusätzliche Handelsstufe. Da zudem die Preisbildung in
Deutschland sowohl auf der Großhandels- als auch auf der Einzelhandelsstufe reguliert ist20, sind
für eine Ermittlung versicherungsinduzierter Preiserhöhungen die Herstellerabgabepreise an den
Aus diesem Grunde wurden für 61 zufällig ausgewählte erstattungsfähige Medikamente
die Herstellerabgabepreise an den Großhandel des Jahres 1999 mit den Preisen verglichen, zu
denen eine große deutsche Universitätsklinik diese Medikamente in entsprechender
Packungsgröße bezieht. Dabei zeigte sich, dass die Herstellerabgabepreis an den Großhandel um
durchschnittlich 50,7% über den Krankenhauseinkaufspreisen lagen. Bei einzelnen
Medikamenten lag die Preisdifferenz wesentlich höher wie zum Beispiel bei Myambutol (100
Sowohl auf dem Mietwagenmarkt als auch auf dem Pharmamarkt scheinen die Anbieter
eindeutig eine Preisdifferenzierung nach dem Kriterium zu betreiben, ob die Nachfrager
versichert sind oder nicht. Auf beiden Märkten lagen die Preise in dem Segment der versicherten
Nachfrager eindeutig über denen im Segment der unversicherten Nachfrager. Auffällig ist dabei,
dass das Ausmaß der Preisdifferenzierung im Pharmamarkt größer als beim Mietwagenmarkt
ausfällt. Während die Preisunterschiede zwischen den Marktsegmenten auf dem
Mietwagenmarkt bei sehr vorsichtiger Schätzung ca. 15-20% betragen, liegen sie auf dem
Pharmamarkt bei entsprechender Vorgehensweise bei ca. 50%.
Welches sind die Ursachen, dass sich das externe moralische Risiko auf dem
Pharmamarkt noch stärker als auf dem Mietwagenmarkt auswirkt? Ein Grund kann darin
bestehen, dass der Krankenhausmarkt erheblichen Einfluss auf den Apothekenmarkt besitzt,
da eine im Krankenhaus begonnene Arzneimitteltherapie nachfolgend oft ambulant fortgesetzt
wird und niedergelassene Ärzte vor allem Medikamente verschreiben, die ihnen aus ihrer
18 In der Bundesrepublik Deutschland sind ca. 99% der Bevölkerung krankenversichert.
19 Vgl. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (1999).
20 Vgl. Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV).
vorhergehenden Krankenhauspraxis bekannt sind. Dies kann Hersteller dazu veranlassen,
Medikamente an Krankenhäuser sehr günstig, eventuell sogar unter den Durchschnittskosten
abzugeben, um günstige Absatz-möglichkeiten auf dem preisunelastischen und damit
lukrativen Apothekenmarkt mit versicherten Nachfragern zu erhalten.
Als weitere Ursache für das unterschiedliche Ausmaß der Preisdifferenzierung kommt in
Betracht, dass die Marktsegmentierung auf dem Pharmamarkt für die dortigen Anbieter sehr viel
leichter als für die Anbieter auf dem Mietwagenmarkt ist: Während die versicherten Nachfrager
nach Pharmazeutika die Kosten nicht nur nicht selber tragen müssen, sondern zum
überwiegenden Teil den Preis der Produkte nicht einmal erfahren, ergeben sich für die Anbieter
von Mietwagen bei der Marktsegmentierung wenigstens zwei Probleme: Zum einen besteht die
Gefahr, dass Versicherer bei sehr hohen Preisen die Begleichung von Mietwagenrechnungen mit
dem Hinweis auf die Schadenminderungspflicht des Versicherungsnehmers bzw. des
Geschädigten verweigern, zum anderen entsteht für die Nachfrager im Unfallersatzgeschäft bei
zu großen Preisdifferenzen zwischen den Marktsegmenten die folgende Arbitrage-möglichkeit:
Sie können von der Möglichkeit Gebrauch machen, auf einen Unfallersatzwagen zu verzichten,
statt dessen eine pauschale Entschädigung für den Nutzungsausfall zu erhalten, um sich
anschließend einen Mietwagen im freien Geschäft zu beschaffen. Da sich der Umfang einer
solchen Pauschalentschädigung nach dem durchschnittlichen Mietpreis im Unfallersatzgeschäft
für die nächst kleinere Wagenklasse als diejenige, auf die der Nachfrager einen Anspruch hat,
richtet, ist eine solche Strategie bei einer entsprechend starken Preisdifferenzierung vorteilhaft.
Somit sind einer Preisdifferenzierung in Folge des externen moralischen Risikos gewisse
Folgerung 4
Der Mietwagenmarkt und der Pharmamarkt belegen die erhebliche empirische Bedeutung des
externen moralischen Risikos. Dabei scheinen die Anreize und Möglichkeiten zur
Preisdifferenzierung auf dem Pharmamarkt noch ausgeprägter als auf dem Mietwagenmarkt
Die gravierenden Auswirkungen des externen moralischen Risikos auf die Höhe der
Versicherungsleistungen und damit letztlich der Versicherungsprämien einerseits und die nur
sehr eingeschränkten Begrenzungsmöglichkeiten durch eine geeignete Ausgestaltung der
Entschädigungsform andererseits, die zudem in der Haftpflichtversicherung vollkommen
wirkungslos sind, legen die Frage nach anderen Optionen von Versicherern zur Bekämpfung
4. Versicherungssummen statt Kostenerstattungen
Wie bereits gezeigt, entsteht das externe moralische Risiko immer dann, wenn den
Versicherungsnehmern die Kosten für Reparaturleistungen im Rahmen ihres
Versicherungsschutzes erstattet werden, so dass der Preis als Nachfragekriterium an
Bedeutung verliert. Damit ergibt sich folgende offensichtliche Strategie gegen das externe
moralische Risiko: Die Ausgestaltung von Versicherungsverträgen sollte in der Form
abgeändert werden, dass die Versicherten im Schadenfall statt einer Kostenerstattung
Entschädigungen in vorab definierter Höhe (Summenversicherungen) erhalten. Durch einen
solchen Versicherungsvertrag würde das externe moralische Risiko vollständig vermieden,
weil sich die Preiselastizität der Nachfrage durch den Versicherungsschutz nicht ändert.21
Die potentielle Vermeidung des externen moralischen Risikos bei
Summenversicherungen ist auch eine Ursache dafür, dass das externe moralische Risiko in
der Versicherungstheorie bislang kaum behandelt wurde, da dort explizit oder implizit fast
ausschließlich Verträge mit Summenversicherungen betrachtet werden. Der Grund hierfür
dürfte darin bestehen, dass Summenversicherungen auch unabhängig vom Problem des
externen moralischen Risikos Kostenerstattungen allokativ überlegen sind:
Kostenerstattungen führen aus Sicht der Versicherten zu einer Verzerrung der relativen Preise
von Reparaturleistungen und übrigen Konsumgütern, während dies bei
Summenversicherungen nicht der Fall ist. Daher bewirkt eine Summenversicherung bei
gleicher Höhe der Versicherungsleistung ein höheres Nutzenniveau der Versicherungsnehmer
Allerdings sind Summenversicherungen bei allem theoretischen Charme nur dann
anwendbar, wenn die Zahl der Umweltzustände begrenzt ist und ex post intersubjektiv
überprüft werden kann, welcher Umweltzustand tatsächlich eingetreten ist. Diese
Voraussetzung ist aber nur für relativ wenige Versicherungssparten erfüllt. Ein Beispiel ist die
Lebensversicherung, bei der es nur zwei Umweltzustände gibt und auch unproblematisch und
21 Diese Aussage ist streng genommen nicht ganz korrekt, da sich die Preiselastizität der Nachfrage durch
Einkommenseffekte der Prämienzahlungen sowie der Versicherungsleistungen verändern kann. Von diesen Einkommenseffekten wird im Folgenden abgesehen, da sie zum einen quantitativ unbedeutend sein dürften und sich zudem noch tendenziell gegenseitig kompensieren.
22 Vgl. hierzu insbesondere Sinn (1977), S. 533ff.
intersubjektiv überprüfbar festgestellt werden kann, welcher der beiden Umweltzustände
eingetreten ist. Für viele andere Versicherungssparten sind Summenversicherungen hingegen
nicht praktikabel. Dies kann leicht am Beispiel der Krankenversicherung verdeutlicht werden:
Würden die Versicherungsleistungen in der Krankenversicherung an die relevanten
Umweltzustände geknüpft, so müsste a priori im Versicherungsvertrag für jedes denkbare
Krankheitsbild die Leistung des Versicherers festgelegt werden und es müsste ex post
zweifelsfrei und intersubjektiv überprüfbar festgestellt werden können, welcher
Umweltzustand beziehungsweise welches Krankheitsbild denn nun tatsächlich eingetreten ist.
Dies ist unmöglich. Daher ist der Versicherungsfall in der Krankenversicherung als der
Eintritt in eine Heilbehandlung definiert und die Leistungen des Versicherers sind dann
entsprechend nicht auf einzelne Krankheitsbilder als Umweltzustände, sondern auf die
Nachfrage des Versicherten nach Gesundheitsleistungen bezogen.
Auch in vielen anderen Sparten, wie beispielsweise der Kfz-Versicherung und der
Rechtsschutzversicherung ist es nicht sinnvoll möglich, die Versicherungsleistungen direkt an
die relevanten Umweltzustände zu binden, so dass sie auch in diesen Sparten auf die
Nachfrage der Versicherten im Schadenfall bezogen werden müssen.
Des Weiteren ist die Kostenerstattung in sämtlichen Bereichen der
Haftpflichtversicherung unvermeidlich, da der Geschädigte Anspruch auf Erstattung
sämtlicher Kosten hat, die ihm durch den Schadenfall entstehen.23
Folgerung 5
Die Vereinbarung von Summenversicherungen zur Vermeidung des externen moralischen
Risikos ist für die meisten Versicherungssparten keine erfolgversprechende Strategie, da
weder alle relevanten Umweltzustände ex ante vertraglich erfasst werden können noch ex post
eine intersubjektive Überprüfung möglich ist, welcher Umweltzustand eingetreten ist.
Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass es nur sehr begrenzt möglich ist, durch
vertragliche Vereinbarungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer gegen das
externe moralische Risiko vorzugehen. Im folgenden Abschnitt wird daher eine Strategie
vorgestellt, die an einer ganz anderen Stelle ansetzt.
23 Allerdings kann mit Einverständnis des Geschädigten von der Kostenerstattung zugunsten einer pauschalierten
5. Vertikale Integration
Eine völlig anderer Ansatz, dem externen moralischen Risiko beizukommen, besteht darin,
dass die Versicherer nicht mehr nur als Kostenerstatter für Reparaturleistungen auftreten,
sondern im Zuge einer vertikalen Integration selbst als Anbieter oder Vermittler solcher
Reparaturleistungen auftreten. Dies kann durch Eigenerstellung oder auch im Rahmen von
Kooperationsverträgen mit den Anbietern von Reparaturleistungen geschehen. Durch eine
vertikale Integration wird das externe Risiko vollständig beseitigt: Bei Eigenerstellung gibt es
keinen eigenständigen Anbieter von Reparaturleistungen, der seine Preise aufgrund der
versicherungsinduziert geringeren Preiselastizität der Nachfrager erhöht, während bei
Kooperationsvereinbarungen die Preise in Verhandlungen zwischen Anbietern von
Reparaturleistungen und Versicherern festgelegt werden, wobei letztere sehr wohl ein
Es scheint, dass immer mehr Versicherungsunternehmen in jüngster Zeit die
Notwendigkeit einer Politik der vertikalen Integration erkannt haben. Bis vor wenigen Jahren
war es, zumindest in Deutschland, für Versicherer eine fremde Vorstellung, eine aktive Rolle
bei der Erstellung von Reparaturleistungen zu übernehmen, da dies ja auf den ersten Blick
wenig mit ihren eigentlichen Kernkompetenzen zu tun hat.24 In den letzten Jahren mehren
sich jedoch die Anzeichen eines Umdenkens. Bestanden vormals die Anforderungen an das
Schadenmanagement im Wesentlichen in einer schnellen und kostengünstigen
Schadenabwicklung sowie in der Erkennung und Abwehr unberechtigter Ansprüche, so gehen
mittlerweile immer mehr Versicherer zu einer aktiven Gestaltung des
Schadenabwicklungsprozesses (Managed Claims) über Sie versuchen, die für die
Schadenbehebungen benötigten Reparaturleistungen entweder selber zu erstellen oder aber
Kooperationen mit den Anbietern solcher Reparaturleistungen einzugehen.
Um eine Strategie der vertikalen Integration erfolgreich durchsetzen zu können, sind
jedoch zwei zentrale Probleme zu lösen: Zum einen muss eine Form der vertikalen Integration
gefunden werden, die juristisch unbedenklich ist, zum anderen muss sichergestellt werden,
dass die Versicherungsnehmer bzw. die Geschädigten ihre Reparaturleistungen tatsächlich
24 Zudem sind die Betätigungsfelder von Versicherungsunternehmen regulierungsbedingt eingeschränkt, da
Versicherungsunternehmen neben Versicherungsgeschäften nur solche Geschäfte betreiben dürfen, die hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehen (§ 7 II VAG). Nach den hier gemachten Ausführungen kann allerdings kaum ein Zweifel bestehen, dass die Bereitstellung von Reparaturleistungen in unmittelbarem Zusammenhang zum eigentlichen Versicherungsgeschäft steht.
beim Versicherer oder dessen Kooperationspartnern beziehen. Im folgenden werden beide
Aspekte an jeweils einem Beispiel verdeutlicht.
Beispiel I: Carpartner
Im Jahre 1993 wurde die carpartner-GmbH gegründet, deren alleinige Gesellschafter sechs
Versicherungsunternehmen waren. Die Geschäftstätigkeit von carpartner bestand in der
gewerblichen Vermietung von Kraftfahrzeugen im Unfallersatzgeschäft. carpartner unterhielt
selber keinen Fuhrpark, sondern schloss ihrerseits Kooperationsabkommen mit gewerblichen
Autovermietern. Nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit trat carpartner in großem Umfang an
Kraftfahrzeugversicherer heran und bot diesen eine Zusammenarbeit auf Grundlage bilateraler
Verträge „zur Regelung des Abrechnungsverfahrens von Mietwagenkosten in Kraftfahrt-
Diese Geschäftspolitik von carpartner war ausgesprochen erfolgreich: In weniger als
einem Jahr konnte ein wesentlicher Teil der im Kfz-Haftpflichtgeschäft aktiven
Versicherungsunternehmen als Kooperationspartner gewonnen werden: Der Marktanteil der
mit carpartner kooperierenden Versicherungsunternehmen belief sich auf 60% der
Bruttoprämieneinnahmen in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Die Ursache für diesen raschen
Erfolg bestand darin, dass die Preise von carpartner für Mietwagen im
Unfallersatzwagengeschäft um ca. 30% unter dem sonst in diesem Marktsegment üblichen
Eine weitere Auswirkung des Markteintritts von carpartner bestand darin, dass immer
mehr Kfz-Haftpflichtversicherer dazu übergingen, die Erstattung von Mietwagenkosten
abzulehnen, soweit die geltend gemachten Kosten die Tarife von carpartner überstiegen.
Das Bundeskartellamt bewertete jedoch den Gesellschaftsvertrag der carpartner-
GmbH als einen Kartellverstoß im Sinne des §1 GWB und untersagte mit Beschluss vom 7.
Juli 1995 erstens die Durchführung von Kooperationsabkommen zwischen carpartner und
Haftpflichtversicherern und zweitens die weitere Durchführung des Gesellschaftsvertrages
von carpartner. Daraufhin kündigten sämtliche Haftpflichtversicherer die mit carpartner
bestehenden Kooperationsvereinbarungen, womit die erste Unterlassungsverfügung des
Bundeskartellamtes als erledigt betrachtet wurde. Gegen die zweite Untersagungsverfügung,
dem Verbot der weiteren Durchführung des Gesellschaftsvertrages von carpartner, wurde von
den Gesellschaften Rechtsbeschwerde eingelegt. Diese Beschwerde wurde in letzter Instanz
vom BGH in dem sogenannten „carpartner-Urteil“ vom 13.1.1998 rechtskräftig verworfen.
Somit stellt der Gesellschaftsvertrag von carpartner nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
einen Kartellverstoß im Sinne des § 1 GWB dar.25
Die Gründung der carpartner-GmbH durch sechs Versicherungsunternehmen war ein
Versuch, das durch das externe moralische Risiko erhöhte Preisniveau im UEG durch vertikale
Integration zu reduzieren. Dieser Versuch ist durch das Urteil des BGH gescheitert. Aus der
Urteilsbegründung wird aber deutlich, dass sich das Urteil des BGH nicht gegen jede Form der
vertikalen Integration richtet, sondern dass in erster Linie das kollektive Vorgehen mehrerer
Versicherungsunternehmen zur Senkung der Preise im UEG untersagt wurde. Einer
Eigenfertigung von Reparaturleistungen sowie einer bilateralen Kooperation zwischen
Versicherern und Anbietern von Reparaturleistungen steht die Entscheidung des BGH nicht
entgegen. Bislang ungeklärt ist die Frage, ob die Tätigkeit von Agenturen, die auf der einen Seite
mit verschiedenen Versicherern Verträge über Schadenregulierung und auf der anderen Seite
Verträge mit Anbietern von Reparaturleistungen abschließen, gegen § 1 GWB verstößt.26
Beispiel II: Notrufsäulen
Am 1.1.1999 übernahm der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)
den Betrieb der Notrufsäulen an den Bundesautobahnen vom Bund. Seit dem Herbst 1999
werden die Notrufsäulen sukzessive mit dem Call-Center des GDV in Hamburg verbunden.27
Die Übernahme der Notrufsäulen durch den GDV ist ein Versuch zur Bewältigung des
zweiten zentralen Problems der vertikalen Integration, die Reparaturleistungen bei den
Versicherern und deren Kooperationspartnern durchführen zu lassen. Dies ist gerade im Kfz-
Bereich äußerst schwierig, da außer den Versicherern auch die Kfz-Hersteller sowie
Automobilclubs versuchen, die Nachfrager nach Reparaturleistungen in ihr jeweiliges
Netzwerk zu bekommen. Eine wichtiger Punkt hierfür ist es, den Erstkontakt zum Nachfrager
zu erhalten. Dazu dient von Versichererseite die Übernahme der Notrufsäulen. Es ist
allerdings zu vermuten, dass beim Wettbewerb um den Erstkontakt zum Nachfrager die Kfz-
Hersteller auf Dauer einen erheblichen Wettbewerbsvorteil haben werden, da sie die
25 Der BGH begründete sein Urteil damit, dass der Markteintritt von carpartner eine Wettbewerbsbeeinträchtigung
auf dem Mietwagenmarkt zur Folge hatte. Aus ökonomischer Sicht ist eine solche Argumentation sehr zweifelhaft, weil hier mit dem Hinweis auf §1 GWB ein Wettbewerb geschützt wird, der aufgrund der versicherten Nachfrager und des daraus entstehenden Problems des externen moralischen Risikos ein Marktergebnis generiert, dessen wohlfahrtsökonomische Bewertung zumindest äußerst unklar ist.
26 Vgl. zu Einzelheiten und zu einer Kritik der Urteilsbegründung des BGH Bunte (1999), S. 95f.
27 Vgl. hierzu u.a. Zermin (2000), S. 22f.
entsprechenden technischen Standards setzen können. So ist davon auszugehen, dass in 5-10
Jahren sämtliche Neufahrzeuge mit Telematik-Geräten ausgestattet sind und die Kfz-
Hersteller die Unfall- und Pannenmeldungen als erste erhalten.28
Um im Wettbewerb um die Nachfrager von Reparaturleistungen bestehen zu können,
werden Versicherer diesen Anreize setzen müssen, Reparaturleistungen bei ihnen oder ihren
Kooperationspartnern durchführen zu lassen. Sind die Nachfrager die Versicherungsnehmer,
so ist eine solche Anreizsetzung durch eine entsprechende Prämiendifferenzierung oder
Selbstbeteiligungsregelung leicht möglich: Erklärt sich der Versicherungsnehmer zur
Reparatur beim Versicherer bereit, zahlt er eine geringere Prämie oder eine geringere
Selbstbeteiligung, als wenn er einen anderen Anbieter von Reparaturleistungen aufsucht.29
Die Anreizsetzung wird schwieriger, wenn der Nachfrager nach Reparaturleistungen der
vom Versicherungsnehmer Geschädigte ist. Da dann der Versicherungsvertrag als
Steuerungsinstrument nicht zur Verfügung steht, bleibt als Instrument nur noch die
Schadenregulierung. Der Versicherer könnte für den Fall, dass der Geschädigte die Reparatur bei
ihm oder seinen Kooperationspartnern durchführen lässt, eine großzügigere Schadenregulierung
Die beiden Beispiele verdeutlichen die Probleme, mit denen sich Versicherer bei der
Bekämpfung des externen moralischen Risikos durch vertikale Integration auseinandersetzen
müssen. Trotz dieser Schwierigkeiten wird die Entwicklung zur vertikalen Integration von
Versicherungs- und Reparaturmärkten unvermeidlich und unaufhaltsam sein, auch wenn sie in
Deutschland bislang nur in Ansätzen erkennbar ist. Welche Dynamik sie entfalten kann, soll an
folgendem Beispiel aus den USA belegt werden.
Beispiel III: Managed Care
Am markantesten lässt sich der Trend zu einer vertikalen Integration von Versicherungs-
und Reparaturmärkten auf dem amerikanischen Krankenversicherungs-markt beobachten. Dort
waren die Auswirkungen des externen moralischen Risikos besonders gravierend: Seit sich in
den USA Anfang der sechziger Jahre die arbeitgeberfinanzierte private Krankenversicherung
29 In amerikanischen Krankenversicherungssystem wird dieser Ansatz, der in Deutschland bislang nicht
praktiziert wird, von einer Organisationsform von Managed Care-Einrichtungen, den Point of Service-Plänen angewendet, die ihren Mitgliedern gegen eine erhöhte Zuzahlung gestatten, Gesundheitsleistungen auch außerhalb der Point of Service Einrichtungen nachzufragen.
weitgehend durchgesetzt hatte, stieg der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP von 5,6% auf
13,6% Anfang der neunziger Jahre. Die Inflationsrate für Gesundheitsgüter lag von Anfang der
achtziger bis Anfang der neunziger Jahre um durchschnittlich 3,8% über der allgemeinen
Diese Entwicklung war einer der Auslöser dafür, dass seit Ende der achtziger Jahre
sogenannte Managed Care-Organisationen mit einer vertikalen Integration von
Krankenversicherung einerseits und der Erbringung medizinischer Leistungen andererseits die
Vorherrschaft auf dem Krankenversicherungsmarkt übernommen haben.30 Managed Care hat in
den USA eine lange Tradition: Die ersten Health Maintenance-Organisationen (HMOs)31 als
älteste Organisationsform von Managed Care wurden bereits in den dreißiger Jahren gegründet.
Ihre Bedeutung blieb jedoch gering, bis Anfang der siebziger Jahre die Gesundheitsausgaben
rapide zu steigen begannen und der Ausbau der HMOs als Möglichkeit zur Eindämmung des
Kostenanstiegs im Gesundheitswesen betrachtet wurde. Der 1973 verabschiedete Health
Maintenance Organization Act beinhaltete Subventionen für den Ausbau beziehungsweise
Gründungen von HMOs sowie die Verpflichtung für die meisten Arbeitgeber, ihren
Arbeitnehmern eine HMO-Option anzubieten.32 In der Folgezeit wurde die staatliche
Subventionierung der HMOs jedoch schrittweise abgebaut. In den achtziger Jahren entstanden
mit den Preferred Provider-Organisationen (PPOs)33 und später mit den Point of Service-Plänen
(POS)34 neue Formen von Managed Care-Organisationen.35 Bis zum Ende der achtziger Jahre
blieb die Bedeutung von Managed Care-Organisationen trotz steigender Mitgliederzahlen
begrenzt. In den letzten Jahren hat sich dies dramatisch geändert: Waren 1988 noch über 70%
der Arbeitnehmer bei traditionellen Krankenversicherern mit Kostenerstattung versichert, so
waren es 1997 nur noch weniger als 20%, während der Marktanteil der Managed Care-
Organisationen bei weit über 80% lag. Interessanterweise ist diese Entwicklung mit einer
30 Für einen Überblick über die verschiedenen Formen von Managed Care sowie die Literatur zu diesem Thema
31 Charakteristisch für HMOs ist die Integration von Versicherung und Leistungserstellung. Die
Gesundheitsversorgung für die Mitglieder wird von der HMO entweder durch angestellte Mitarbeiter oder vertraglich gebundene Anbieter von Gesundheitsleistungen erbracht.
33 PPOs beruhen auf einem Zusammenschluß von Anbietern von Gesundheitsleistungen, die Vereinbarungen
mit Versicherungsgesellschaften, direkt versichernden Arbeitgebern oder freiwillig Versicherten abschließen. Vgl. Amelung (1999), S. 60.
34 POS unterscheiden sich von den HMOs dadurch, dass den Mitgliedern gegen eine erhöhte Eigenbeteiligung
die Möglichkeit eingeräumt wird, Leistungsanbieter außerhalb des Systems zu wählen.
35 Zu weiteren Organisationsformen von Managed Care vgl. Amelung (1999), S. 54ff.
Stabilisierung der Gesundheitskosten verbunden, deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt seit
Beginn der neunziger Jahre konstant geblieben ist.
Die radikale Verdrängung traditioneller Versicherer durch Managed Care-Organisationen
in sehr kurzer Zeit zeigt eindrucksvoll, unter welchen Wettbewerbsdruck Versicherer geraten
können, die auf eine vertikale Integration verzichten und am traditionellen Verfahren der
Folgerung 6
Versicherungsunternehmen müssen bei der Ausgestaltung der vertikalen Integration zum
einen sehr genau auf rechtliche Restriktionen und die Entwicklung der Rechtsprechung
achten. Zum anderen müssen sie die Nachfrager dazu bewegen, Reparaturen bei ihnen oder
ihren Kooperationspartnern durchzuführen. Um dieses Ziel zu erreichen, bemühen sich
Versicherer bislang vor allem um den Erstkontakt zum Nachfrager. Dabei stehen sie
besonders in der Kfz-Versicherung in einem intensiven Wettbewerb mit Kfz-Herstellern und
Automobilclubs, in dem sie mittel- bis langfristig strategische Nachteile gegenüber den Kfz-
Herstellern haben. Versicherer werden daher verstärkt mit Anreizen arbeiten müssen, um die
Nachfrager dazu bewegen zu können, Reparaturen bei ihnen beziehungsweise ihren
Kooperationspartnern durchzuführen. Sind Nachfrager und Versicherungsnehmer identisch,
kann eine Anreizsetzung über den Versicherungsvertrag erfolgen, während im
Haftpflichtbereich dies nur über die Schadenregulierung möglich ist. Für Versicherer führt
trotz dieser Probleme kaum ein Weg an einer vertikalen Integration vorbei: Wie die
Entwicklung des amerikanischen Krankenversicherungsmarktes zeigt, können die Vorteile
eines solchen aktiven Schadenmanagements so gravierend sein, dass Versicherer, die an der
traditionellen Kostenerstattung festhalten, binnen sehr kurzer Zeit unter gravierenden
6. Zusammenfassung
Das externe moralische Risiko, das zu versicherungsinduzierten Preiserhöhungen auf
Reparaturmärkten führt, ist mit Instrumenten der Produktpolitik, also mit der Ausgestaltung
von Versicherungsverträgen, nur sehr begrenzt zu bewältigen. Die bei weitem
erfolgversprechendste Strategie gegen das externe moralische Risiko besteht in einer
vertikalen Integration von Versicherungs- und Produktmärkten. Sie ist in Deutschland bislang
nur in Ansätzen verbreitet, wofür unter anderem die Unsicherheit über die
wettbewerbsrechtliche Beurteilung der verschiedenen Formen vertikaler Integration
verantwortlich ist. Der Erfolg von Managed Care-Organisationen auf dem amerikanischen
Krankenversicherungsmarkt, der zu einer weitgehenden Verdrängung von
Krankenversicherern mit traditioneller Kostenerstattung geführt hat, zeigt das
Erfolgspotential, das in einer vertikalen Integration von Versicherungs- und Reparaturmärkten
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Vereins zur Förderung der Versicherungswissenschaft in Hamburg e.V.
Cap00-Goldwurm 4a bozza 1-06-2004 14:15 Pagina XQualità della Vita nella ricerca e nella societàLa ricerca sulla qualità della vita ha avuto un impulso notevole in campomedico soltanto quando si è diffusa la consapevolezza che, per valutare irisultati dei trattamenti in medicina, erano insufficienti gli abituali parametriclinici. Nella valutazione degli esiti, quindi, ci si è resi conto che
Dr. I-Fang Cheng Assistant Researcher National Nano Device Laboratories (NDL), Tainan, Taiwan e-mail: [email protected] Tel : 886-6-2082408 ext. 8711, 886-6-5050650 ext. 6614 Education and experiences: Ph.D. in Institute of Nanotechnology and Microsystems Engineering, National Cheng Kung University (07/2010) M.S. in Department of Biomedical Engineering, National Cheng Kung Uni