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Positionspapier der AGEZ
zur Ministerkonferenz der
Welthandelsorganisation (WTO)
September 2003 in Cancún (Mexiko)
TRIPS – Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums New Issues: Neue Bereiche (Auslandsinvestitionen, Wettbewerb, Reformvorschläge und Forderungen (Kurzfassung) Wien, im Juni 2003 AGEZ – Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit A-1090 Wien, Berggasse 7 Tel/Fax: 01/317 40 16 E-Mail: [email protected]; Homepage: www.agez.at Positionspapier der AGEZ
zur Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO)
im September 2003 in Cancún (Mexiko)

Das zentrale handelspolitische Ereignis des Jahres 2003 wird die 5. WTO-Ministerkonferenz
von 10. bis 14. September in Cancún in Mexiko sein. Es wird weit reichende Auswirkungen auf
alle Lebensbereiche in allen Regionen der Erde haben.
Das vorliegende Papier fasst die Position der AGEZ (Dachverband der österreichischen ent-
wicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen) zu diesem Gipfel zusammen. Sein Ziel ist
es, einerseits zur Information über die Thematik beizutragen und andererseits Mitgliedsorgani-
sationen der AGEZ und anderen NGOs ein Instrument zur Analyse und Beeinflussung der Re-
gierungsposition in die Hand zu geben.
Sein Aufbau umfasst einen Überblick über den Hintergrund, die Arbeitsweise und die grund-
sätzliche Politik der WTO sowie über die bei der Konferenz in Cancún anstehenden zentralen
Themen nämlich
9 das Dienstleistungsabkommen (General Agreement on Trade in Services, GATS),
9 das Landwirtschaftsabkommen (Agreement on Agriculture, AoA),
9 das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums
(Agreement on Trade Related Intellectual Property Rights, TRIPS) und 9 Neue Bereiche (New Issues).

Der Betroffenheit von Frauen wurde in jeder dieser Fragen breiter Raum gegeben.
In jedem dieser Abschnitte sind am Schluss Reformvorschläge und Forderungen formuliert.
Der anschließende Ausblick stellt grundsätzliche Überlegungen aus entwicklungspolitischer
Sicht an: Handel muss auf das Wohl der Menschen ausgerichtet sein!
Am Ende des Positionspapiers werden die wichtigsten Forderungen aus den einzelnen Kapi-
teln kurz zusammengefasst
.
1) WTO – Die Welthandelsorganisation

Die 1995 gegründete Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organisation) gilt neben
dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als die mächtigste internationale Organisation. Mit
Hilfe ihres Streitbeilegungsmechanismus kann sie ihr ausschließliches Ziel – den Freihandel –
auch gegen andere, konkurrierende Politikziele wie zum Beispiel Umweltschutz oder Gesund-
heitsvorsorge durchsetzen. Die WTO ist nicht Mitglied der Institutionenfamilie der Vereinten
Nationen (UN).
Hintergrund

Geschichte: Von der ITO über das GATT zur WTO

Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges legte die internationale Staatengemeinschaft die Nachkriegs-
ordnung für die Weltwirtschaft fest. Bei der Konferenz von Bretton Woods 1944 wurde der
Grundstein für die internationalen Finanzorganisationen Weltbank und Internationaler Wäh-
rungsfonds gelegt. Auch eine dritte Organisation, die Internationale Handelsorganisation
ITO, sollte gegründet werden. Aus den Bretton-Woods-Drillingen wurden aber nur Zwillinge.
Ein entscheidender Grund war, dass die ITO das Ziel globaler Entwicklung verfolgt hätte, schon
in ihrer Präambel Bezug auf die Menschenrechte genommen und die Befugnis gehabt hätte, das
transnationale Kapital im Interesse der Allgemeinheit zu regulieren. Das war den USA zuviel
der Einmischung in ihre Außenwirtschaftspolitik, und sie brachten die ITO mit ihrem Veto zu
Fall. Stattdessen wurde auf ihre Initiative 1947 das GATT (General Agreement on Tariffs and
Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) gestartet. Das GATT verfolgte von Anbeginn
einen reinen Freihandelsansatz im globalen Güterhandel. Ziel war der Abbau von Handels-
hemmnissen wie Zöllen. Anfangs unterzeichneten nur 23 Staaten das GATT. In den darauf fol-
genden Verhandlungsrunden kamen jedoch immer mehr dazu.
1964 wurde auf Initiative der Entwicklungsländer – und im Rahmen der Vereinten Nationen –
die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung UNCTAD gegründet. Sie
hätte ein Gegengewicht zum Freihandel sein und stattdessen „nachhaltige Entwicklung auf allen
Ebenen fördern“ sollen, stand aber von Anfang an in Konkurrenz zum GATT-Abkommen.
In der achten und letzten GATT-Runde, der Uruguay-Runde (1986 – 1994) landeten neue
Verhandlungsthemen auf dem Tisch: Agrarprodukte und Textilien auf Wunsch der Entwick-
lungsländer sowie Dienstleistungen und Rechte des geistigen Eigentums auf Druck der Indust-
rieländer. Die Uruguay-Runde mündete in die Gründung der Welthandelsorganisation WTO
(World Trade Organisation) per 1. Jänner 1995. Mitte 2003 waren 146 Länder Mitglied, weitere
30 warten auf die Aufnahme.
Vertragswerke

Neben dem GATT sind das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen GATS (General
Agreement on Trade in Services) und das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rech-
te des geistigen Eigentums TRIPS (Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Proper-
ty Rights) die zentralen Säulen der WTO. Daneben gibt es zahlreiche weitere Abkommen wie
zum Beispiel das Landwirtschaftsabkommen AoA (Agreement on Agriculture), das Abkommen
über Technische Handelsbarrieren TBT (Agreement on Technical Barriers to Trade) oder das
Abkommen über Sanitäre und Phytosanitäre Maßnahmen SPS (Agreement on the Application
of Sanitary and Phytosanitary Measures).
Philosophie

Die WTO verfolgt einen reinen Freihandelsansatz. Ihrer Ansicht nach führt Freihandel welt-
weit zu Wachstum und Wohlstand. Sogar die Umwelt und soziale Sicherheit würden durch die
Segnungen des Freihandels langfristig profitieren. Zunächst müssen sie allerdings dem Primat
des Freihandels weichen: „Handelsfremde Politikfelder“ wie Umweltschutz, Gesundheitsvor-
sorge, soziale Sicherheit, Gendergerechtigkeit und Menschenrechte im Allgemeinen gelten der
WTO als potentielle Handelshindernisse.
Streitbeilegungsmechanismus

Zentrales Merkmal der WTO ist ihr „Tribunal“. Das „Dispute Settlement Understanding“ DSU
setzt den Freihandel weltweit mit empfindlichen Sanktionen durch, oftmals gegen „handels-
fremde Interessen“ wie Umweltschutz, Gesundheitsvorsorge oder Menschenrechte. Über einen
Streitbeilegungsmechanismus mit Sanktionsmöglichkeiten verfügen andere internationale Or-
ganisation nicht: Im Unterschied zur WTO sind die für Menschen- und Frauenrechte zuständi-
gen Kommissionen – die Menschenrechtskommission (UNHCR) und die CSW (Kommission
für die Rechtsstellung der Frau) –, die zahlreichen Hilfsorgane innerhalb der UN wie das UNDP
(Entwicklungsprogramm), das UNEP (Umweltprogramm), die UNCTAD (Konferenz für Han-
del und Entwicklung) und UNIFEM (Entwicklungsfonds für Frauen) sowie die selbständigen
UN-Sonderorganisationen wie die ILO (Internationale Arbeitsorganisation), die FAO (Agrar-
und Ernährungsorganisation) und die WHO (Weltgesundheitsorganisation) im Hinblick auf die
Umsetzung ihrer Empfehlungen und Abkommen auf den guten Willen der Mitgliedsstaaten
angewiesen; hier gibt es keine Gerichte zur Durchsetzung von Menschenrechten, Umweltschutz,
sozialer Sicherheit oder Gesundheitsvorsorge.
Die Arbeitsweise des WTO-Tribunals gibt weiteren Anlass zur Sorge: Aus einem Pool von fast
ausschließlich männlichen Schiedsrichtern werden pro Verfahren drei ausgewählt, meistens
ältere Herren mit einschlägiger Ausbildung im Handelsrecht, aber ohne Kenntnisse in Umwelt-,
Sozial- oder Humanwissenschaften. Diese „drei Weisen“ können in einem Hotel in Bangkok
genauso gut tagen wie beim WTO-Sitz in Genf. Ihren Zwischenbericht brauchen sie überdies
nicht zu veröffentlichen. Der Endbericht gilt als angenommen, wenn nur eines der 146 WTO-
Mitglieder zustimmt, zum Beispiel der Kläger (!). Aufgrund dieses „umgekehrten Vetoprin-
zips“
kam es seit Inkrafttreten des Tribunals 1995 zu einer enormen Klageflut. Bis Mitte 2003
wurden fast 300 Klagen eingereicht. Zum Vergleich: Während der 48-jährigen GATT-
Geschichte wurden 101 Streitfälle behandelt.
Ministerkonferenzen

Alle zwei Jahre werden auf den Ministerkonferenzen die großen Weichen in der WTO gestellt.
Bisher fanden vier solcher Liberalisierungs-Großereignisse statt, Cancún wird das fünfte in der
Serie sein. Bei der ersten WTO-Ministerkonferenz 1996 in Singapur wurden Teilabkommen zu
Seeverkehr, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen vorangebracht, während die Auf-
nahme neuer Themen („New Issues“) in den Bereichen Wettbewerb, Öffentliche Beschaffung
und Investitionen scheiterte. Bei der 2. Konferenz 1998 in Genf passierte nicht viel. Die dritte
1999 ging als „Battle of Seattle“ in die Geschichte ein. 50.000 Menschen demonstrierten da-
mals in der US-Stadt gegen den WTO-Gipfel. Nicht nur aufgrund der Proteste platzte die ange-
kündigte „Millenniumsrunde“. Wie gewohnt verhandelten die Industrieländer in den so genann-
ten „Green Rooms“ unter sich die Millenniumsagenda aus und wollten den fertigen Text den
über 100 Entwicklungsländern zur Unterschrift vorlegen, die diese jedoch verweigerten. Die
Nord-Süd-Kluft riss zum ersten Mal sichtbar auf. Die 4. Ministerkonferenz stand daher unter
Erfolgsdruck. Zum einen musste sich die WTO die lästigen DemonstrantInnen vom Halse
schaffen, was durch die Wahl des Konferenzortes im Wüstenemirat Qatar/Doha geschah, in
dem nicht nur öffentliche Kundgebungen, sondern auch Parteien verboten sind. Zweitens muss-
ten die Entwicklungsländer wieder an Bord geholt werden. Durch ein Minimalzugeständnis
beim TRIPS wurde die „Entwicklungsrunde von Doha“ ausgerufen, obwohl sich die Industrie-
länder in allen entscheidenden Fragen durchsetzten. Nur die Aufnahme der „New Issues“ ge-
lang nicht reibungslos. Indien weigerte sich bis zuletzt, weshalb die Doha-Runde um ein Haar
gescheitert wäre. Der Kompromiss in letzter Sekunde: Verhandlungen über das Investitionsthe-
ma werden in Cancún nur dann gestartet, wenn sich die WTO-Mitglieder über die „Verhand-
lungsmodalitäten“ einig werden.
WTO und innere Demokratie

Obwohl in der WTO – anders als bei IWF und Weltbank – jedes Mitgliedsland über eine Stim-
me verfügt, ist die WTO auch intern nicht demokratisch. Die institutionelle Diskriminierung des
Südens beginnt damit, dass 29 Länder sich keine permanente Vertretung am WTO-Sitz in Genf
leisten können. Wer aber bei den fünf bis zehn Sitzungen pro Woche nicht anwesend ist, dessen
Stimme gilt als Ja-Stimme. Dazu kommt: 80% des BeamtInnenstabs kommt aus den Industrie-
ländern, obwohl in diesen nur 20% der Menschheit leben. Nicht nur bei den Ministerkonferen-
zen selbst, in den so genannten „Green Room Meetings“, wissen die Industrieländer stets ihre
Interessen durchzusetzen.
Schon im Vorfeld der offiziellen Konferenzen finden so genannte „Mini-Ministerials“ statt:
Wer daran teilnehmen darf, wird strategisch ausgewählt, die EU und USA sind jedenfalls immer
dabei. Die Mini-Ministerials dienen zur Allianzenbildung und dazu, bestimmte Themen auf die
Tagesordnung zu bringen. Es gibt keine Protokolle. In Vorbereitung für Cancún haben zwei
Mini-Ministerials in Sydney (November 2002) und in Tokio (Februar 2003) stattgefunden; eine
dritte wird für Juni in Kairo organisiert, dort wird die konkrete Tagesordnung für Cancún fest-
gelegt. Fazit: Der gesamte WTO-Prozess wird von den Industrieländern gelenkt und nach ihren
Interessen gestaltet; dem „Rest der Welt“ werden oft nur fertige Verträge und Deklarationen zur
Unterschrift vorgelegt. Und sollte doch ein Entwicklungsland sich sträuben, werden „Überzeu-
gungsmechanismen“
angewandt wie der diskrete Hinweis auf eine bevorstehende Kredittran-
che, das Überdenken der Entwicklungs- oder Wirtschaftshilfe oder andere diplomatische
Druckmittel.
Folgen

„Erfolge“ des Freihandels

Während die 80er Jahre schon als das verlorene Jahrzehnt für vier Fünftel der Menschheit in die
Geschichte eingingen, verringerte sich das Pro-Kopf-Einkommen während der 90er Jahre aber-
mals in 50 Ländern. Und selbst wenn die Wirtschaft als Ganzes oder auch die Pro-Kopf-
Einkommen wuchsen, dann oft um den Preis einer ungerechten Verteilung, sodass bis zu drei
Viertel der Bevölkerung ärmer wurden. Afrikas Anteil am Welthandel schwand seit 1960 von
ohnehin bescheidenen 4,5% auf 1,5%.
Die ökologischen Probleme nehmen unvermindert zu: Treibhauseffekt, Überfischung und Ver-
schmutzung der Meere, Artenverlust, Entwaldung, Wüstenbildung, Anreicherung der Ökosys-
teme mit Schadstoffen.
Auch die Situation der Frauen wird durch Freihandel weiter verschlechtert. Schon heute ver-
richten sie 70% der unbezahlten Arbeit, beziehen aber nur 10% des globalen Einkommensku-
chens und besitzen gar nur ein Prozent des weltweiten Vermögens. Freihandel in der Landwirt-
schaft bedroht die Ernährungssicherheit und die Ressourcen Wasser und Saatgut, und die Erfah-
rungen mit den Strukturanpassungsprogrammen seit den 80er Jahren zeigen die negativen sozia-
len Folgen der Kürzung öffentlicher Dienstleistungen, die durch GATS weiter verschärft wer-
den.
Ricardos Theorie der komparativen Kostenvorteile fehlgeschlagen

An die Frauen und die ökologischen Lebensgrundlagen hatte der britische Ökonom David Ri-
cardo wohl kaum gedacht, als er 1817 die „Theorie der komparativen Kostenvorteile“ ersann.
Ihr zufolge würde sich in einem globalen Regime freien Handels jedes Land auf die Produktion
eines/einiger Produkte oder Dienstleistungen spezialisieren. Diese könnte es dann mit den Pro-
dukten und Dienstleistungen anderer Länder austauschen, wodurch alle den größtmöglichen
Wohlstandsgewinn erzielen würden: internationale Arbeitsteilung. So verführerisch die Theorie
ist, so wenig hat sie sich in die Realität umgesetzt. Nur wenige Länder haben sich ausreichend
spezialisiert, um fit für den Weltmarkt zu sein, und das oft mit massivem Protektionismus. Bei
weitem nicht alle haben ihre „ökonomische Identität“ gefunden. Grosso modo hat sich der Nor-
den
auf die Produktion von Hi-Tech-Gütern und Dienstleistungen spezialisiert und schützt
gleichzeitig seine Agrarmärkte, während der Süden unverändert versucht, Rohstoffe und Ag-
rargüter zu exportieren: Das ist nicht nur eine höchst ungleiche Welt, sondern sie wird auch
noch zusehends ungleicher, weil sich das Verhältnis der Weltmarktpreise für Rohstoffe und
Agrargüter im Vergleich zu denen für Hi-Tech-Produkte laufend zuungunsten des Südens ver-
schlechtert („Terms of Trade“). Der uruguayische Chronist und Autor Eduardo Galeano defi-
niert die Arbeitsteilung zeitgemäß: „Die einen spezialisieren sich aufs Gewinnen, die anderen
aufs Verlieren.“
Wasser predigen, Wein trinken

Besonders absurd an der Freihandelsdebatte ist, dass diejenigen, die ihn am lautesten von den
anderen fordern, selbst historisch bewährte Protektionisten sind. Alle großen Handelsmächte
sind nicht durch das schrankenlose Hereinlassen von Konkurrenten groß geworden, sondern
durch Abschottung und Subvention der eigenen Unternehmen. Die Flaggschiffkonzerne der
Industrienationen – 430 der 500 weltgrößten Konzerne sind in der OECD beheimatet – bekamen
fast durchwegs großzügige öffentliche Unterstützung. Und jetzt sollen die armen Länder diese
„Global Players“ bedingungs- und schrankenlos hereinlassen. Das kann die Kluft zwischen
Nord und Süd nur noch vertiefen. In den letzten 100 Jahren hat kaum ein Land den Sprung von
der „Dritten“ in die „Erste“ Welt geschafft. Die einzigen Beispiele, die gerne für diesen Ent-
wicklungsschritt bemüht werden – die südostasiatischen Tigerstaaten Singapur, Hongkong,
Taiwan und Südkorea – haben dies nicht mit Freihandel geschafft, sondern mit massiver Unter-
stützung ihrer Industrie bei gleichzeitiger Abschottung mit Hilfe von Schutzzöllen.
Der Protektionismus der Industrieländer ist aber nicht nur historisch. Die USA leisteten sich im
Windschatten des 11. Septembers 2001 einen dreifachen Rückfall in den Protektionismus: Zölle
auf Stahlimporte, Verdopplung der Agrarsubventionen und die Aufforderung an den Pharma-
Konzern Bayer, auf die Patent-Rechte auf das Anthrax-Gegenmittel Cipro zu verzichten. Das
sind nur die bekanntesten Fälle. Der Protektionismus des Nordens ist strukturell: Die UNCTAD
hat 1999 in ihrem Bericht über die am wenigsten entwickelten Länder („Least Developed
Countries Report“) berechnet, dass die Entwicklungsländer aufgrund unfairer Handelsbedin-
gungen
täglich 1,9 Milliarden Dollar an Exporterlösen verlieren. Das sind aufs Jahr gerechnet
700 Milliarden US-Dollar oder das Vierzehnfache der globalen öffentlichen Entwicklungshilfe.
Noch ein Beispiel zur Illustration: Während die 15 wichtigsten Exportgüter der USA nach Bra-
silien mit durchschnittlich 14% Zoll belastet sind, stoßen die 15 wichtigsten Exportgüter Brasi-
liens in die USA auf Zollhürden von durchschnittlich 50%1.
Die Betroffenheit von Frauen

Die von der WTO verfolgte Liberalisierung und Deregulierung aller Lebensbereiche wirkt sich
insbesondere deshalb negativ auf Frauen und Geschlechterverhältnisse aus, da sie die in den
allermeisten Gesellschaften praktizierte Unterordnung, Benachteiligung und Marginalisierung
1 Der brasilianische Jesuit Alfredo Goncalves beim UN-Gipfel in Johannesburg. von Frauen und die fehlende Anerkennung und gerechte Entlohnung weiblicher Arbeit ver-
stärkt. Die WTO selbst ist völlig „genderblind“, es findet sich kein Hinweis auf ein entspre-
chendes Engagement in ihren Statuten, in keinem ihrer Gremien finden sich genderbewusste
Frauen in Schlüsselpositionen; ihre Abkommen nehmen nirgends auf die Betroffenheit und die
Bedürfnisse von Frauen Bezug, auch in Evaluierungen und Reviews ist das nicht der Fall.
Bereits jetzt springen die Auswirkungen neoliberaler Politik auf Frauen ins Auge – sie werden
sich allerdings durch die geplanten weiteren Veränderungen noch verstärken. Mit dem GATS
wird ein weiterer Liberalisierungs- und Privatisierungsschub im Bereich öffentlicher Dienstleis-
tungen erfolgen. Das bedeutet für Frauen den Verlust von Arbeitsplätzen im (eher paritätisch
bezahlten) öffentlichen Dienst. Soziale Dienstleistungen werden verstärkt an traditionelle Struk-
turen (Familien, Nachbarschaft, NGOs) rückübertragen, was erfahrungsgemäß Frauen beson-
ders hart trifft und unbezahlte Mehrarbeit bedeutet.
In den ständig zunehmenden, unter der Leitung von transnationalen Konzernen (TNCs) stehen-
den „Weltmarktfabriken“ und „Freien Produktionszonen“ werden Frauen, die den überwie-
genden Teil der Arbeitskräfte darstellen, in unvorstellbarer Weise ausgebeutet, sind schwerwie-
genden gesundheitlichen Risiken und sexuellen Belästigungen ausgesetzt und genießen in der
Regel nicht die geringste soziale Absicherung. Trotz der steigenden Erwerbsquote von Frauen –
mit regionalen Ausnahmen – ist ihr Zugang zu bezahlter Arbeit mit einem Einkommen in über-
lebenssichernder Höhe insgesamt geringer. Lokale Unternehmen werden geschlossen, kleine
Unternehmerinnen verlieren durch ausländische Konkurrenz ihre Arbeit, durch fehlende Trans-
portmöglichkeiten werden Frauen oft von der Arbeit in Zentren und Subzentren abgeschnitten.
Soziale Rechte, Arbeitsrechte, Frauenförderung, Mutterschutz oder Proklamationen kostenloser
Gesundheitsmaßnahmen zum Schutz von Mutter und Kind werden von TNCs oft als Handels-
hemmnisse definiert.
Insgesamt nimmt die traditionelle, unbezahlte und nicht anerkannte Arbeit der Frauen zu,
durch zusätzliche finanzielle Belastungen werden sie zur Suche nach Einkommensmöglichkei-
ten in den informellen Sektor, in die Prostitution, in die untersten Ränge der formalen Wirt-
schaft gezwungen.
Durch diese vielfachen Belastungen nimmt die Armut von Frauen und Mädchen zu – bereits
jetzt stellen sie 70% der absolut Armen – ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich rasant, ihre
Chancen auf Bildung und damit im Zusammenhang auf politische Mitbestimmung und Empo-
werment
bleiben oft im Überlebenskampf stecken.


Reformvorschläge und Forderungen

Unterordnung des Freihandelsziels (und damit der WTO) unter die „Menschheitsziele“:
Schutz der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Gesundheitsvorsorge, Umweltschutz, nach-
haltige Regionalentwicklung, Entwicklungszusammenarbeit und Gendergerechtigkeit.
„Keine neue Runde“: Also Stopp aller Überlegungen zu Verhandlungen über neue Themenbe-
reiche. Aufgrund der negativen Ergebnisse der bisherigen Liberalisierungen fordern die Ent-
wicklungsländer, dass zuerst umfangreiche externe und unabhängige Evaluierungen bisheri-
ger Liberalisierungen und Wohlstandssteigerung in Hinblick auf ökologische, soziale – und
Gendergerechtigkeit durchgeführt werden sollten. Bis zum Abschluss der Evaluierungen sollen
daher alle laufenden Verhandlungen zu weiteren Liberalisierungsschritten ausgesetzt werden.
Demokratisierung der WTO: Beseitigung der institutionellen Diskriminierung, Aus für
„Green Room Meetings“ und „Mini-Ministerials“. Korrektur des Rechtsbestandes zugunsten
der armen Länder (TRIPS, Zolleskalation, Ausnahmen etc.).
Genderisierung der WTO Struktur: Aufnahme einer Verpflichtung zur Integration einer um-
fassenden Genderperspektive in alle Aktivitäten der WTO. Gender-kompetente Frauen in
Schlüsselpositionen in alle Gremien der WTO. Durchführung von Gender Impact Assessments
als integraler Bestandteils aller WTO-Politiken2, Verwendung geschlechtsspezifisch getrennt
aufbereiteter Daten und von Indikatoren zu Gender und Trade3.
Öffentlichkeit des Schiedsgerichtes: Keine Abhandlung von Konfliktfällen zwischen Freihan-
del und anderen Politikfeldern innerhalb der WTO, sondern in den jeweiligen UN-
Organisationen.
Massive Stärkung der UN-Organisationen: Größere Durchsetzungskraft für Organe und Or-
ganisationen im Bereich von Handel und Entwicklung (UNCTAD), des Umweltschutzes
(UNEP), der nachhaltigen Entwicklung (UNCSD), der Entwicklungszusammenarbeit (UNDP),
der Artenvielfalt (CBD), der Arbeitsrechte (ILO), der Gesundheitsvorsorge (WHO) sowie der
Menschen- und Frauenrechte.
Klare Regeln für Konzerne: Regulierung von Investitionen im Interesse der Allgemeinheit
vermittels eines „umgekehrten“ Investitionsabkommens oder Standortschutzabkommens, z.B.
im Rahmen der UNCTAD.4
Errichtung zusätzlicher UN-Organisationen: Weltsteuerbehörde (für die Einhebung der To-
binsteuer und von Ressourcensteuern, für die Schließung von Steueroasen und die Sanktionie-
rung von schädlichem Steuerwettlauf); Weltkartellamt für die globale Fusionskontrolle; Schutz-
programme für indigene Völker und ihre Lebensräume.
Positive Diskriminierung von Fair Trade: Gezielte Förderung des Fairen Handels und seiner
organisatorischen Strukturen.

2 Die Europäische Union sollte sich in dieser Hinsicht einsetzen, da sie eine Resolution zur Integration der Gender-
perspektiven in alle Bereiche des internationalen Handels angenommen hat.
3 Siehe dazu: Irene van Staveren/WIDE 2002.
4 Bereits im Jahr 1977 wurde innerhalb der UN eine Kommission für Transnationale Konzerne (UNCTC) gegründet,
die Verhandlungen über einen Verhaltenskodex for TNCs eröffnete. Zunächst wurden substantielle Fortschritte er-
zielt, doch dann wurde der Widerstand von Seiten der TNCs und der USA immer größer, sodass der Codex 1992
eingestellt wurde.
2) GATS - das Dienstleistungsabkommen

Hintergrund

Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on
Trade in Services: GATS) ist – neben dem GATT und dem TRIPS – eine der zentralen Säulen
der WTO. Während das GATT den globalen Güterhandel regelt und das TRIPS die handelsbe-
zogenen geistigen Eigentumsrechte, ist GATS für den Handel mit Dienstleistungen zuständig.
Aufbau und Ziele

Der Dienstleistungssektor macht in den Industrieländern bereits zwei Drittel der Wirtschaftsleis-
tung aus. Diese werden bisher überwiegend lokal oder von der öffentlichen Hand erbracht. Mul-
tinationale Konzerne wollen diese Dienstleistungen übernehmen und grenzüberschreitend han-
deln. Insgesamt sind im GATS 150 Dienstleistungen aufgelistet, darunter befinden sich Bank-
und Versicherungsgeschäfte (inklusive Kranken- und Pensionsversicherung), Telekommunika-
tion, Post, Strom, Gas, Wasser, Transport, Tourismus, Medien (Radio, Fernsehen, Kino), Bil-
dung (Vorschule, Pflichtschule, Universitäten, Erwachsenenbildung), Gesundheitswesen und
soziale Dienstleistungen.
Das GATS umfasst vier Varianten grenzüberschreitender Dienstleistungen:
1. Die Dienstleistung kommt über die Grenze (Handel, z. B. Fernstudium per Internet); 2. Die KonsumentIn geht über die Grenze (Konsum im Ausland, z. B. Tourismus) 3. Die DienstleistungsanbieterIn lässt sich im Ausland nieder (Direktinvestition) 4. Die DienstleisterIn kommt über die Grenze (Erbringung im Ausland).
Aufgrund des dritten Punktes gilt das GATS auch als Investitionsschutzabkommen – manche
sehen darin die (teilweise) Wiederauferstehung des gescheiterten MAI –, und Punkt vier (z.B.
Indischer IT-Experte kommt nach Österreich) macht das GATS auch zu einem Migrationsab-
kommen
. Nicht zuletzt deshalb meinte wohl der ehemalige WTO-Direktor Renato Ruggiero:
„Das Dienstleistungsabkommen GATS umfasst Bereiche, die noch nie zuvor als Handelspolitik
angesehen wurden. Ich vermute, dass weder die Regierungen noch die Geschäftswelt die volle
Reichweite und den Wert der eingegangenen Verpflichtungen erkannt haben.“
Zeitplan und Verhandlungsstand

Seit Anfang 2000 laufen die so genannten GATS-2000-Verhandlungen, die eine Vertiefung der
1995 begonnenen Dienstleistungsliberalisierung zum Ziel haben. Bis Juni 2002 mussten alle
WTO-Mitglieder in der so genannten „Request-Phase“ die jeweils anderen dazu auffordern,
bestimmte Dienstleistungssektoren für ausländische MitbieterInnen zu öffnen, und bis 31. März
2003 in der „Offer-Phase“ all jene Bereiche bekannt geben, die sie selbst liberalisieren werden
(Erstellung „nationaler Verpflichtungslisten“). Bis September 2003 wird auf Basis der vorlie-
genden Angebote vorverhandelt, in Cancún selbst wird das große Verhandeln beginnen.
Verhandlungsende ist für 1. Jänner 2005 vorgesehen. Die Verhandlungen begannen unter Aus-
schluss der Öffentlichkeit und hätten auch geheim beendet werden sollen. Den Parlamenten
hätte nur der fertig verhandelte Vertrag zur Unterzeichnung vorgelegt werden sollen. Durch die
globale STOPP-GATS-Kampagne sind aber die wichtigsten Informationen durchgesickert. So
wurde bekannt, dass die EU – im Namen ihrer Bevölkerung – von 72 Ländern die Liberalisie-
rung der Trinkwasserversorgung fordert.
Zentrale Vertragsprinzipien im GATS

Transparenz: Regierungen müssen alle Gesetze, Normen und Standards offen legen, die den
Handel mit Dienstleistungen betreffen (und behindern könnten) und einmal jährlich der WTO
melden.
Meistbegünstigung: kein/e ausländischer AnbieterIn darf schlechter gestellt werden als ein/e
andere/r. (Nichtdiskriminierung zwischen AusländerInnen, z.B. zwischen AnbieterInnen aus
Togo und den USA).
Inländerbehandlung: Ausländische AnbieterInnen dürfen nicht schlechter gestellt werden als
inländische.
Innerstaatliche Regulierung: Es sollen „Disziplinen“, d.h. Richtlinien entwickelt werden, die
gewährleisten, dass bestimmte nationale Regelungen (Qualifikationserfordernisse und -
verfahren, technische Normen, Zulassungserfordernisse) keine „unnötigen Hemmnisse für den
Handel mit Dienstleistungen“ darstellen.
Fortschreitende Liberalisierung: Die WTO-Mitglieder verpflichten sich dazu, in regelmäßi-
gen Abständen neue Verhandlungsrunden abzuhalten, „um schrittweise einen höheren Stand der
Liberalisierung zu erreichen“.
Rücknahmen oder Änderungen bereits eingegangener Liberalisierungsverpflichtungen
können frühestens drei Jahre nach deren Inkrafttreten gemacht werden und auch dann nur, wenn
den Handelspartnern im Gegenzug die Öffnung gleich profitabler Sektoren angeboten wird oder
hohe Strafzölle bezahlt werden.
Streitbeilegung: Verstößt ein Land gegen seine GATS-Verpflichtungen, kann ein anderes Land
ein WTO-Gerichtsverfahren einleiten und bei entsprechendem Urteil die Anpassung des Rechts-
bestands erzwingen oder alternativ schmerzvolle Strafzölle einheben.
Folgen und Auswirkungen
GATS bedroht die Demokratie

Nationalstaaten, Länder und Gemeinden regulieren mit Gesetzen die von Privaten erbrachten
Dienstleistungen, um nicht-ökonomische Ziele wie Umweltschutz, Arbeitsplatzsicherheit und
Arbeitsrechte und Sozialpolitik oder Regionalpolitik zu verfolgen. Es findet eine politische Ges-
taltung des Wirtschaftsgeschehens im öffentlichen Interesse statt. Das Problem des GATS für
uns alle: Viele dieser öffentlichen Regulierungen können als „Handelshindernisse“ angesehen
und beim Schiedsgericht der WTO angefochten werden. Beispielsweise könnte festgestellt wer-
den, dass die Förderung der Nahversorgung ausländische AnbieterInnen benachteiligt: das wäre
das Aus jeder Regionalpolitik. Umweltschutzgesetze, soziale Standards oder Qualitätserforder-
nisse dürfen im Sinn des GATS nur noch dann erlassen werden, wenn sie den freien Handel
„nicht mehr als nötig“ einschränken. Für die Beurteilung sieht die WTO einen „Notwendig-
keitstest“
vor: Sollte sich die Maßnahme in einem Streitfall nicht als die am wenigsten han-
delshemmende aller denkbaren Maßnahmen herausstellen, kann das WTO-Gericht den Natio-
nalstaat zwingen, das Gesetz aufzuheben. Damit wird der demokratische Prozess durch WTO-
Urteile ersetzt, die noch höherrangig sind als das demokratisch ohnehin schon schwach legiti-
mierte EU-Recht. Bisher wurde der Notwendigkeitstest elfmal angewandt, zehnmal räumte das
WTO-Tribunal dem Freihandel Vorrang ein, zulasten von Umweltschutz- oder Gesundheitsvor-
sorgegesetzen.
Globale Deregulierung

Entgegen der Darstellung der Verhandler ist das GATS ein massives Deregulierungsabkommen.
Die EU verlangt allein im Finanzbereich von Malaysia die Aufhebung von 25 Gesetzen. Darun-
ter befinden sich so sinnvolle Gesetze wie die Beschränkung des Handels mit der malaysischen
Währung Ringgit, womit das Land relativ glimpflich aus der Südostasienkrise ausgestiegen ist.
Die brasilianische Zentralbank beschränkt die Kapitalflucht aus Brasilien. Mexiko und Chile
beschränken den Verkauf von Küstenland an ausländische Hotelketten. Ägypten prüft den öko-
nomischen Bedarf, bevor neue Hotels ins Land kommen. Kenia hat im Telekommunikationssek-
tor eine Grenze für ausländische Kapitalbeteiligungen in der Höhe von 30%. Kamerun ver-
pflichtet ausländische Investoren, für alle 10.000 investierten US-Dollar zumindest einen Ar-
beitsplatz zu schaffen. Im Namen der EU-Bevölkerung fordert die Kommission die Abschaf-
fung all dieser Gesetze. Indien verlangt von der EU die Aufhebung der Sozialversicherungs-
pflicht für indische Dienstleistungsanbieter. Alle genannten Beispiele sind offiziell geheim. Sie
wurden nur bekannt, weil die geheimen Forderungslisten der EU durchgesickert sind5:
Öffentliche Dienste in Gefahr

Unter „öffentlichen Diensten“ (Public Services) versteht man soziale Absicherungs- und
Grundversorgungsbereiche wie Kranken- und Pensionsversicherung, Bildungssystem, öffentli-
cher Verkehr, Wasserversorgung, Strom, Telefon und Post. Diese Grundinfrastruktur, die wir
alle jeden Tag benötigen, wird üblicherweise durch öffentliche TrägerInnen mit gemeinnützigen
Zielen zur Verfügung gestellt. Alle Menschen haben – unabhängig vom Einkommen – Zugang.
Gewinne werden nicht erwirtschaftet, der Markt bleibt draußen. Das könnte durch das GATS
schon bald Vergangenheit sein. Post, Strom und Telekom werden bereits liberalisiert, und in
den USA und in England sind sämtliche der aufgezählten Bereiche zumindest teilprivatisiert.
Das Problem: Durch die Privatisierung drohen die öffentlichen Dienste teurer zu werden, der
universale Zugang für alle Menschen würde verloren gehen; die Qualität der Dienstleistungen
droht abzunehmen, und die Beschäftigungssituation würde sich ebenfalls dramatisch ver-
schlechtern. Das zeigen zumindest zahlreiche internationale Erfahrungen.
WTO-Sekretariat und das österreichische Wirtschaftsministerium versuchen deshalb zu beruhi-
gen: Öffentliche Dienste seien vom GATS ausgenommen. Doch der GATS-Text sieht eine
Ausnahme öffentlicher Dienste nur dann vor, wenn diese weder „im Wettbewerb“ (in competi-
tion) mit anderen AnbieterInnen noch „auf kommerzieller Basis“ (on a commercial basis) er-
bracht werden. Beides ist unklar: Stehen öffentliche Universitäten oder Spitäler etwa nicht mit
privaten im Wettbewerb? Sind Studiengebühren, Rezeptgebühren und Zugtickets nicht etwa
eine „kommerzielle Basis“? Fast wie eine Antwort ist im April 2002 die geheime Position der
EU-Kommission
durchgesickert, in der sie andere WTO-Mitglieder dazu auffordert, die Was-
serversorgung, den Energiebereich, Abfallbehandlung, Teilbereiche des Transports, Umwelt-
schutzleistungen und die Postdienste zu liberalisieren.
Wer sind die Gewinner des GATS?

Der ehemalige Direktor der GATS-Abteilung im WTO-Sekretariat David Hartridge hat dies so
ausgedrückt: „Ohne den ernormen Druck der amerikanischen Finanzdienstleistungsindustrie,
insbesondere von Firmen wie American Express oder Citicorp, hätte es kein Dienstleistungsab-
kommen gegeben.“ Die großen Dienstleistungskonzerne der USA und der EU sind gut organi-
siert und betreiben systematisches Lobbying pro Liberalisierung. Die wichtigsten Lobbygrup-
pen sind in den USA die Coalition of Service Industries (USCSI) und in der EU das European
Services Forum (ESF). Neben Banken und Versicherungen zählen große Wasserversorger (Vi-
vendi, Suez, RWE), Telekom-, Energie-, Bildungs- und Gesundheitskonzerne sowie Hotelketten
zu den Gewinnern des GATS. Die Weltbank schätzt den weltweiten Markt für Wasserversor-
gung auf jährlich 800 Milliarden Dollar, den für Bildung auf 2000 Milliarden Dollar und jenen
für Gesundheitsdienstleistungen auf 3500 Milliarden Dollar. Die EU-Kommission gibt unver-
blümt zu: „Das GATS ist (.) zuallererst ein Instrument zugunsten des Geschäftemachens.“


5 http://www.gatswatch.org/requests-offers.html#outgoing GATS vertieft die Kluft zwischen Nord und Süd

Ganz besonders verlieren würden die Länder des Südens. Sie waren von Anfang an gegen das
GATS, mussten es aber bei der WTO-Gründung im Rahmen eines „Gesamtpakets“ in Kauf
nehmen. Die Interessenslage ist klar: Der Dienstleistungssektor macht in den USA 70% der
Wirtschaftsleistung aus, in Kambodscha 34%. Nicht kambodschanische Finanz-, Telekom- und
Computerkonzerne wollen auf den US-Markt, sondern umgekehrt. In den aktuellen Verhand-
lungen haben nur 16 Entwicklungs- und Schwellenländer Forderungen an die EU gestellt, wäh-
rend die EU von über 90 armen Ländern teils weitreichende Liberalisierungen fordert. Beson-
ders problematisch: Länder des Südens sind Leichtgewichte in den WTO-Verhandlungen und
können sich gegen die Begehrlichkeiten der schwergewichtigen „QUADS“ (USA, Kanada, EU,
Japan) kaum wehren, weil sie über Kredite, Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe mehrfach von
diesen abhängig sind. Wenn aber die nördlichen Industrieländer die Öffnung des Bildungs- und
Gesundheitssystems oder der Wasserversorgung durchsetzen, steht für den finanzschwachen
(Groß-)Teil der Bevölkerung (mehrheitlich Frauen) der Zugang zur Grundversorgung auf
dem Spiel. Drei Milliarden Menschen verdienen weniger als zwei Dollar pro Tag und können
sich diese Dienste nicht bei multinationalen Konzernen leisten. Die Menschenrechtskommission
der UN hat bereits vor diesem Szenario gewarnt, weil Zugang zu Wasser, Gesundheitsversor-
gung und Bildung Menschenrechte sind.
Falscher Ansatz und Alternative

Der GATS-Ansatz lautet: Wie kann ich „meinen“ Konzernen (des jeweiligen WTO-Mitglieds)
neue Absatzmärkte (im Süden) und neue Profitsektoren (in der öffentlichen Daseinsvorsorge)
erschließen.
Ein UN-würdiger Ansatz für eine globale Politik zum Thema Dienstleistungen müsste lauten:
„Wie können alle Menschen mit essentiellen Dienstleistungen wie Trinkwasser, Gesundheit,
Bildung, Alterssicherheit, Energie, Post, Bahn, Straßen, Telefon und Internet versorgt werden?“
Das Ziel dahinter wäre Armutsbekämpfung, Herstellung von Chancengleichheit und Genderge-
rechtigkeit, kurz die Einlösung von Menschenrechten. Die Mittel dazu wären Schuldenstrei-
chung der armen Länder, Tobinsteuer, Erhöhung der Entwicklungshilfe auf die versprochenen
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens, zinsenfreie Kredite für Investitionen in die Da-
seinsvorsorge.
Die Betroffenheit von Frauen

Frauen sind durch das GATS mehrfach negativ betroffen. 80% der erwerbstätigen Frauen ar-
beiten in der EU im Dienstleistungssektor. Sie werden den erhöhten Wettbewerb nach der Libe-
ralisierung und die damit einhergehende „Kostenreduktion“ in Form von Lohnkürzungen, Ab-
bau von Arbeitsrechten und Gleichstellungsregelungen, Sozialabbau und Entlassungen zu spü-
ren bekommen. Studien haben bestätigt, dass Handelsliberalisierung die ohnehin schon große
Lohnschere zwischen Männern und Frauen noch weiter öffnet.
Es kommt bei einer Einschränkung des öffentlichen Sektors zu Rückübertragungen sozialstaat-
licher Leistungen in informelle Arrangements wie Familie, Nachbarschaft oder NGOs, weil sich
finanzschwache Gruppen die Versorgung durch Private nicht leisten können. Diese unbezahlte
Arbeit wird erfahrungsgemäß fast ausschließlich von Frauen verrichtet.
Frauen und Mädchen werden durch die Verteuerung von Dienstleistungen vom Zugang zu Bil-
dungs- und Gesundheitseinrichtungen ausgeschlossen, was umfassende negative Auswirkungen
auf ihre gesamte Situation hat.

Reformvorschläge und Forderungen

Verhandlungsstopp. Die schleichende Preisgabe der öffentlichen Dienste, die Aushöhlung der
demokratischen Gestaltungsfähigkeit von Nationalstaaten, die Auswirkungen auf den sozialen
Zusammenhalt und das Geschlechterverhältnis, die Übervorteilung der Entwicklungsländer so-
wie der geheime Charakter der Verhandlungen machen eine Weiterverhandlung unzumutbar.
Umfassende Überprüfung der Auswirkungen der Dienstleistungsliberalisierung auf die armen
Länder, auf die Umwelt, auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt, auf das Geschlechterver-
hältnis, auf KonsumentInnen und ArbeitnehmerInnen sowie auf die Regulierungsfähigkeit von
Nationalstaaten.
Keine globalen Verhandlungen über die Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Güter
und Dienstleistungen. Im Gegenteil, verfassungsmäßige Garantie des Rechts auf Wasser, Bil-
dung, Gesundheitsversorgung, Pension, öffentlicher Verkehr, Postdienste, Energie und Kom-
munikationsanschluss sowie die Sicherung der dafür notwendigen öffentlichen Mittel.
Ausbau und Demokratisierung der öffentlichen Dienstleistungen, auch vom Standpunkt der
Gendergerechtigkeit.
3) TRIPS – das Abkommen über handelsbezogene Aspekte
der Rechte des geistigen Eigentums

Hintergrund

Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trade
Related Aspects of Intellectual Property Rights – TRIPS) trat mit der Gründung der WTO 1995
in Kraft. Die Industrieländer haben es mit maßgeblicher Hilfe der Industrielobby, allen voran
Pharma- und Agrochemiekonzerne, und Druckausübung gegen den Willen der Mehrheit der
Entwicklungsländer durchgesetzt. Wichtige Arbeitsgespräche dazu fanden unter Ausschluss der
Länder des Südens statt. Im Rahmen des Gesamtpakets wurde diesen dann Versprechungen auf
Vorteile im Agrar- und Textilsektor gemacht, die sich bis heute kaum erfüllt haben.
Aufbau, Ziele, Probleme

Im TRIPS-Abkommen sind verschiedenste Instrumente zum Schutz des geistigen Eigentums
– unter anderem Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, Marken, geografische Angaben
und Patente – international geregelt. Es geht um Regeln und Schutzbestimmungen, die zum Teil
in Ländern des Südens erst neu eingeführt werden mussten/müssen – ein Gegensatz zur generel-
len Deregulierungstendenz der WTO. Den Entwicklungsländern wurde eine Umsetzungsfrist bis
zum Jahr 2000 eingeräumt, den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) zunächst bis 2006,
bei der WTO-Konferenz in Doha 2001 dann eine Verlängerung bis 2016. Jedoch konnte der
überwiegende Großteil der betroffenen Länder die Frist bis zum Jahr 2000 nicht einhalten. Es
fehlt meist an Know-How, Ressourcen, Geld. Zudem haben diese Länder dringende entwick-
lungspolitische Prioritäten, wobei die Umsetzung des TRIPS-Abkommens der Entwicklung
hinderlich ist.
Der umstrittene Artikel 27.3b legt die Ausnahmen von der Patentierbarkeit fest: Pflanzen und
Tiere, nicht aber Mikroorganismen, sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung
von Pflanzen und Tieren, nicht aber nicht-biologische und mikrobiologische Verfahren, können
von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden. Im Falle von Pflanzensorten muss, falls Paten-
te nicht vorgesehen werden, ein wirksames Schutz-System eigener Art (sui generis) eingerich-
tet werden. Die Patentierung gentechnologisch veränderter Organismen war von Anfang an ein
besonderes Anliegen der Industrie und ist problemlos möglich.
Eine spezielle Überprüfung (review) der Bestimmungen des Art. 27.3b vier Jahre nach Inkraft-
treten (d.h. 1999) wurde festgelegt – für Länder des Südens ist dies in Bezug auf Know-How
und Ressourcen schwierig. Die Überprüfung fand verspätet statt. In Doha wurde vereinbart,
dass der TRIPS-Council das Ergebnis überarbeiten und dabei ein Auge auf das Verhältnis zwi-
schen TRIPS-Abkommen und Convention on Biological Diversity (CBD), den Schutz von tra-
ditionellem Wissen und „Folklore“ einerseits und relevanten neuen Entwicklungen andererseits
haben solle. Unter denselben Gesichtspunkten soll eine Überprüfung des gesamten TRIPS-
Abkommens erfolgen.
Große Nachteile für den Süden

Bei der WTO-Konferenz in Doha 2001 wurde eine politische Erklärung zu TRIPS und öffentli-
cher Gesundheit
verabschiedet, die eine Bestätigung des Rechts der Staaten enthält, sich der im
TRIPS-Abkommen ohnehin schon enthaltenen Flexibilitäten wie Zwangslizensierung und Pa-
rallelimporte zu bedienen, um die öffentliche Gesundheitsversorgung zu schützen. Diese Erklä-
rung benötigte aber noch Ergänzungen, da die meisten Länder des Südens über keine oder nur
beschränkte Pharmaproduktionskapazitäten verfügen und daher von Zwangslizenzierungen
nicht profitieren können. Der zur Deadline im Dezember 2002 vorliegende Vorschlag beinhalte-
te jedoch unüberbrückbare bürokratische Hürden für arme Länder und andere gravierende
Schwächen. Zudem gab es Debatten über den Ausschluss von Krankheiten wie Krebs, Asthma
und Herzerkrankungen und von Vaccinen. Für die NGOs ist der Vorschlag daher inakzeptabel.
Die EU unterstützt ihn; die Länder des Südens hätten voraussichtlich zermürbt zugestimmt, aber
die USA blockten ab. Die derzeitige Pattsituation lässt befürchten, dass dieses Thema wieder
zur „Verhandlungsmasse“ in Cancún wird.
In den vergangenen Jahren haben Industriestaaten bilaterale Vereinbarungen benutzt, um Län-
der des Südens zu Regelungen, die über das TRIPS-Abkommen hinausgehen, zu verpflichten –
so genannte TRIPS-plus-Regime. So hat die EU laut NGO-Berichten nahezu 90 Ländern, dar-
unter den ACP-(Afrika, Karibik, Pazifik)Ländern, TRIPS-plus-Verpflichtungen in Bezug auf
Patente auf Lebensformen aufgezwungen. Einige Länder wie Algerien, Libanon, Mexiko, Ma-
rokko und Tunesien wurden unter Druck gesetzt, UPOV (International Union for the Protection
of New Varieties of Plants) und ihrem rigorosen Abkommen zum Schutz von Pflanzensorten
(International Convention for the Protection of New Varieties of Plants), das in seiner revidier-
ten Version von 1991 fast so strikt wie Patente wirkt, beizutreten. Um Handelszugeständnisse
und -vergünstigungen zu bekommen, müssen sich diese Länder den TRIPS-plus-Wünschen der
EU, der USA oder Japans unterwerfen.
Folgen und Auswirkungen

Da im TRIPS-Abkommen das Ziel verfolgt wird, technologisches Know-How vor Nachahmung
zu schützen, wird Ländern des Südens die Chance auf Entwicklungsaufschwung durch schnelle
und kostengünstige Nachahmung oder Adaptierung bereits bekannter Techniken verwehrt. Die-
se Chance hatten aber sehr wohl Industrieländer wie etwa die Schweiz, die ihre eindrucksvolle
wirtschaftliche Entwicklung und ihren Reichtum eben dieser technologischen Nachahmung
verdanken. Daher hat sich die Schweiz auch sehr lange Zeit gegen die Einführung von Patenten
gewehrt. Nun soll der so gewonnene technologische Vorsprung der Industrieländer langfristig
abgesichert werden. Insgesamt bedeutet das TRIPS-Abkommen einen massiven Transfer von
Ressourcen vom Süden in den Norden.
Das TRIPS-Abkommen bedient ausschließlich die Bedürfnisse der Industrie. Die Interessen
und Rechte indigener und lokaler Gemeinschaften sind nicht berücksichtigt. Rechte an geisti-
gem Eigentum werden nur anerkannt, wenn Wissen oder Erfindung gewerblicher Nutzung zuge-
führt werden kann. Weder soziale Bedürfnisse, gemeinschaftliche Kreativität, nicht schriftlich
festgehaltenes Wissen, noch Grundrechte wurden einbezogen. Im Norden ansässige Konzerne
halten ca. 90% aller Patente. Sie haben die Kapazität und Ressourcen für Forschung und Pro-
duktentwicklung ebenso wie für die Administration und Bezahlung der mühsamen Patentie-
rungsverfahren, die für Betriebe im Süden oft undurchführbar sind, am wenigsten für Frauen
und indigene Gemeinschaften. Das TRIPS-Abkommen behindert somit Forschung sowie
Schutz von Erfindungen und Wissen im Süden anstatt sie zu fördern.
Hohe Kosten, Verlust von Rechten

Viele WTO-Mitglieder hatten für bestimmte Produkte wie z.B. Medikamente keine Patente
vorgesehen oder ihre Patentierung verboten. Das TRIPS-Abkommen zwingt sie nun dazu, auch
für Medikamente und andere für die Gesundheitsversorgung und Nahrungssicherung der Bevöl-
kerung unerlässliche Produkte Patentschutz zu gewährleisten. Kostengünstige Medikamente
könnten viele der 14 Millionen jährlichen Todesfälle an verhinder- oder behandelbaren Krank-
heiten vermeiden. TRIPS steht dem im Wege, denn patentierte Medikamente kosten um bis zu
30 Mal mehr als Generika. Die Pharmaindustrie profitiert.
Auch Patente auf Lebensformen waren in vielen Ländern – vor allem im Süden – unbekannt
und widersprechen vielfach traditioneller Kultur und Ethik. Patente auf Pflanzen und Saatgut
beschneiden die Rechte der Bäuerinnen und Bauern, Saatgut aus ihrer Ernte aufzubewahren,
wieder anzubauen, weiterzuzüchten, zu tauschen, die Ernte und Produkte daraus zu verkaufen –
die so genannten Farmers‘ Rights, die noch immer nicht international rechtlich verankert sind.
1,4 Milliarden Menschen sind auf den Nachbau ihres Saatguts angewiesen und können sich
Saatgutkauf und Patentgebühren nicht leisten. Traditionelle Agrarkulturen und nachhaltige An-
baumethoden sind bedroht. Besonders betroffen sind Frauen. Patente auf genetische Ressour-
cen öffnen weitreichenden Monopolen und Gentechnologie im Bereich der Nahrungsgrundlagen
Tür und Tor. Frauen verlieren die Kontrolle über Saatgut und Nahrungssicherung. Der Zugang
zu vielfältiger, ausgewogener Nahrung gerät in Gefahr.
Ein erschwerter oder verwehrter Zugang zu Medikamenten, Saatgut und ausgewogener
Nahrung
steht im Widerspruch zu elementaren Menschenrechten. Diesbezügliche internationa-
le Kritik am TRIPS-Abkommens wird immer lauter. So hat die UN-Subkommission für die
Förderung und den Schutz der Menschenrechte festgehalten, dass das TRIPS-Abkommen im
Konflikt mit grundlegenden Menschenrechten wie den Rechten auf Gesundheit, auf Nahrung
und darauf, vom wissenschaftlichen Fortschritt zu profitieren, steht. Auch andere UN-Gremien
wie die WHO sind besorgt.
Auch mit dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Di-
versity – CBD) steht das TRIPS-Abkommen im Konflikt. Patente auf Lebensformen, die de
facto Patentierung von indigenem und traditionellem Wissen – oft Wissen der Frauen – ermög-
lichen die so genannte Biopiraterie. Darunter versteht man die Aneignung von biologischen
Ressourcen und traditionellem Wissen ohne adäquate Einbeziehung und Entschädigung der
Gemeinschaften, die diese Ressourcen und dieses Wissen traditionell nutzen, hervorgebracht
oder entdeckt haben. Das TRIPS-Abkommen sieht keine Handhabe vor, die den Zugang zu
biologischen Ressourcen und den Schutz der Rechte indigener Völker, wie in der CBD veran-
kert, gewährleistet und Verstöße dagegen verhindert. Die vorgesehenen Patente hingegen be-
hindern Erhalt und Weiterentwicklung der biologischen Vielfalt.
Beispiele des Unrechts

Unzählige Beispiele von Biopiraterie zeigen die Begünstigung der Konzerne durch die Patent-
regelungen gegenüber indigenen und lokalen Gemeinschaften. Auch die vage Zielsetzung der
CBD einer fairen Verteilung des Nutzens (Gewinne) aus den genetischen Ressourcen, das so
genannte „benefit sharing“, kann dem nichts entgegen setzen. Die CBD ist im Vergleich zu dem
TRIPS-Abkommen ein sehr schwaches Instrument ohne Sanktionsmöglichkeit; der strukturelle
und inhaltliche Rahmen für das „benefit sharing“ ist außerdem unzulänglich. Bilaterale Verträge
zwischen Ländern des Südens und Konzernen führen daher leicht zu Ausbeutung.
Ein krasses Beispiel von Biopiraterie ist die im Jahr 1999 erfolgte Patentierung der in Mexiko
heimischen und beliebten gelben Enola-Bohne durch die US-Firma POD-NERS, lediglich auf-
grund der Selektion zu einer homogenen Enola-Sorte. In Mexiko ging der Export von gelben
Bohnen daraufhin um 90% zurück. Besonders die Existenz der Kleinbauern und Kleinbäuerin-
nen war durch die Zerstörung ihres Exportmarkts bedroht – für Frauen infolge ihrer ökonomi-
schen Benachteiligung und mangelnden Abfederungsmöglichkeiten noch bedrohlicher als für
Männer.
Kreuzungen mit in Indien und Pakistan heimischen, von den Frauen entwickelten Basmati-
Reissorten
wurden von RiceTec Inc., Texas, unter dem Namen Basmati-Reis ohne Entschädi-
gung patentiert, was zu Exportrestriktionen für Indien und Pakistan führte. Ebenso stellt die
später teilweise aufgehobene Patentierung der traditionellen Heil- und Zeremonienpflanze der
Amazonasvölker Ayahuasca eine Aneignung ihres Wissens ohne Kompensation dar. Die Liste
ähnlicher Fälle ist lange.
Bekannt ist auch das Beispiel Südafrikas, das 1997 ein neues Arzneimittel-Gesetz heraus-
brachte, um die Medikamentenpreise, vor allem in der AIDS-Behandlung, zu senken, und damit
unzählige Menschenleben zu retten. Damit wurden unter anderem Zwangslizenzierungen und
Parallelimporte erleichtert und die Pflicht, Markenmedikamente, deren Patentfrist abgelaufen
ist, durch Generika zu ersetzen, eingeführt. Darauf hin erhoben im Februar 1998 39 Pharmafir-
men Klage gegen die südafrikanische Regierung unter Berufung auf Verstöße gegen das
TRIPS-Abkommen und stellten so eindeutig Handelsinteressen vor das Recht auf Leben und
Gesundheit. (Dabei sieht das TRIPS-Abkommen in besonderen Fällen Zwangslizenzen und
Parallelimporte sehr wohl vor.) Südafrika musste das neue Gesetz aussetzen, vielen Menschen
war der Zugang zu dringend benötigten Medikamenten verwehrt. Im April 2001 wurde die
Klage allerdings zurückgezogen.
Die Betroffenheit von Frauen

In Jahrtausende langer gemeinschaftlicher Kulturarbeit haben indigene und lokale Gemeinschaf-
ten die Kulturpflanzen-Vielfalt und die Grundlage der globalen Ernährungssicherung, her-
vorgebracht. Frauen waren und sind maßgeblich daran beteiligt und in vielen Kulturen und Ge-
meinschaften direkt für die Bewahrung und Weiterentwicklung des Saatguts zuständig. Die
Einführung neuer, männlich orientierter Agrartechniken hat immer wieder zur Verdrängung von
Frauen und ihren produktiven und nachhaltigen Methoden aus der Landwirtschaft geführt. Ein-
seitige Effizienz-, Handels- und Exportausrichtung führte zur Verknappung der Ressourcen der
Frauen und damit zu Mangelernährung besonders unter Frauen und Kindern.
Patentiertes Saatgut, unrentabel und unerschwinglich für die kleinbäuerliche Landwirtschaft,
schließt nahtlos an diese Entwicklungen an und fördert den Übergang von der frauendominier-
ten Selbstversorgungs- zur männer- und konzerndominierten Markterzeugungslandwirtschaft.
Frauen verlieren die Kontrolle über ihr Saatgut, über ihr traditionelles Wissen, ihre nachhalti-
gen Methoden, über den Produktionsprozess für die Ernährungssicherung und damit Macht und
Einfluss in der Landwirtschaft, ihren Status in der Gesellschaft und Einkommensmöglichkeiten
am lokalen Markt. Marginalisierung und Verarmung ist die Folge.
Saatgutpatente machen kulturelle Traditionen wie Geschenke und Tausch unter den Frauen und
gemeinschaftliche Kreativität unmöglich und Gemeinschaftswissen – vielfach von Mutter zu
Tochter mündlich überliefert – zu privatem Eigentum. Da das TRIPS-Abkommen dem Wissen
der Frauen keinen Schutz einräumt, wird dieses oft Ziel von Biopiraterie. Neben Wissen im
Saatgut- und Ernährungsbereich handelt es sich oft um für Pharmakonzerne hoch interessantes
Wissen über Heilpflanzen und Heilmethoden.
Auch im Gesundheitsbereich sind die Frauen durch ihre ökonomische Situation krass benachtei-
ligt. Teure patentierte Medikamente sind daher für eine große Zahl von Frauen, die oft von
AIDS betroffen sind, unerreichbar.
Im Technologiebereich sind Frauen traditionell benachteiligt. Bei der Einführung moderner
Technologien werden Frauen vor allem im Süden ignoriert und verdrängt. Sie haben kaum Zu-
gang zu technischem Training, Know-How und Technologietransfer. Das TRIPS-Abkommen,
das letzteren erschwert und von Vermögen, das Frauen nicht haben, abhängig macht, marginali-
siert Frauen (besonders im Süden) daher ganz generell in Bereichen, wo Technologie eine Rolle
spielt.
Dazu kommt, dass die Umsetzung des TRIPS-Abkommens kostspielig ist. In armen Ländern,
die erst Know-How, Kapazitäten und Infrastruktur dafür aufbauen müssen, machen Ausgaben
dafür einen relativ großen Anteil des Budgets aus, der erfahrungsgemäß zu Lasten des Sozial-
budgets geht. Ebenso erfahrungsgemäß sind Frauen überproportional von Kürzungen im Sozial-
bereich betroffen.


Reformvorschläge und Forderungen

Die Sinnhaftigkeit des TRIPS-Abkommens, das protektionistischen Charakter hat, monopolisti-
sche Tendenzen fördert, nahezu ausschließlich Industrieländer begünstigt und zur weiteren
Marginalisierung von Frauen und indigenen Völkern führt, ist grundsätzlich zu überdenken.
Aus entwicklungs- und genderpolitischer Sicht ergeben sich die grundsätzlichen Forderungen
nach einer Evaluierung des gesamten Abkommens und seiner Auswirkungen, nach der Ver-
hinderung von Patenten auf Lebensformen
und nach der Sicherstellung von „Farmers’
Rights“
sowie des Zugangs zu ausgewogener Ernährung und zu Medikamenten.
Forderungen im Einzelnen betreffen die Änderung der allgemeinen Ausrichtung des TRIPS-
Abkommens
vom Standpunkt der Ernährungssicherung, der Gesundheitsversorgung, der Gen-
dergerechtigkeit, der ökologischen Nachhaltigkeit – insbesondere im Zusammenhang mit allen
Aspekten der biologischen Vielfalt – sowie Durchsetzung und Stärkung der Ziele aller Men-
schenrechts-Instrumente zu dieser Thematik. Keine Beeinträchtigung anderer Abkommen
durch das TRIPS-Abkommen
(vor allem der Convention on Biological Diversity, CBD, des
International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture und der Convention
on the Eradication of Discrimination against Women, CEDAW).

Überarbeitung der „Doha Erklärung zu TRIPS und öffentliche Gesundheit“
: so dass öf-
fentliche Gesundheit eindeutig und unumstößlich Vorrang vor Patentschutz hat.
Keine Patente auf Lebensformen. Revision des Artikels 27.3b. Im Vordergrund sollten fol-
gende Anliegen stehen: Umsetzung des gemeinsamen Vorschlags der afrikanischen Länder,
Patenten auf alle Lebewesen und ihre Bestandteile, auf sämtliche natürliche Prozesse und auch
nicht-biologische und mikrobiologische Verfahren zur Herstellung von Tieren, Pflanzen und
anderen lebenden Organismen von der Patentierbarkeit auszuschließen oder zumindest freie
Wahl der Länder zu garantieren. Verankerung des Rechts der Mitgliedsländer, in einem sui
generis System
die Bauernrechte einschließlich des Rechts auf adäquaten Anteil am Nutzen
aus genetischen Ressourcen unter besonderer Beachtung der Rolle der Frauen festzuschreiben.
Verlängerung der Umsetzungsfrist für Länder des Südens, vor allem für die am wenigsten ent-
wickelten Länder.

„Basisfreundliche“ Kontrolle der Überprüfung des gesamten Abkommens
:
Schaffung einer ständigen Arbeitsgruppe, die auf Vorrang der Interessen der öffentlichen Ge-
sundheit, des Rechts auf Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln, des Rechts, sich zu ernähren
und der Gendergerechtigkeit vor dem Schutz des geistigen Eigentums zu achten hat.
Verlängerung des unter Art. 64.3 bestehenden Moratoriums für die Anwendung des Streitbei-
legungsverfahrens.
Unterstützung der Technischen Zusammenarbeit für Länder des Südens bei der Umsetzung,
unter Berücksichtigung ihrer Interessen und Rechte, die Flexibilität des Abkommens zu ihrem
Vorteil zu nutzen, und unter voller Partizipation der Frauen.
Freiheit von Zwang und Druck: Verzicht auf den Einsatz jeglicher, inkl. bilateraler, Druck-
mittel gegenüber Ländern des Südens, insbesondere Verzicht auf Druck in Richtung Einführung
von "TRIPS-plus-Regimen".

4) AoA: das Landwirtschaftsabkommen

Hintergrund

Angesichts der globalen Situation der Landwirtschaft, in der enorme Produktionsüberschüsse
der chronischen Unternährung von mehr als 800 Millionen Menschen gegenüber stehen, ist es
dringend notwendig, das Agrarabkommen (Agreement on Agriculture) auf seinen Beitrag zur
globalen Ernährungssicherung und der Umsetzung des Menschenrechts sich zu ernähren
hin zu prüfen. Als wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Ernährungssicherung gilt
eine kleinstrukturierte Landwirtschaft, die in ihrer Vielfalt nicht nur erhalten werden soll, son-
dern sich auch wirtschaftlich entfalten können muss.
Für Entwicklungsländer ist das Agrarabkommen von besonderer volkswirtschaftlicher Bedeu-
tung, da mehr als 70% der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt sind oder daraus den
Großteil ihrer Einkommen beziehen.
KleinbäuerInnen, lokale Lebensmittelverarbeitung und -vermarktung erbringen weltweit den
höchsten Beitrag für die Versorgung mit Nahrungsmitteln, während gleichzeitig 80% der Ar-
men, die an Hunger leiden, in ländlichen Gebieten leben. Die Armutssituationen sind meist
durch mangelnden Zugang zu produktiven Ressourcen und Mitteln (Land, Saatgut, Wasser,
Kredite, Bildung) bedingt und auf niedrige bzw. fallende Preise von Agrarprodukten zurückzu-
führen. Der Anbau und die Produktion von Nahrungsmitteln werden in Süd- und Südostasien zu
60% von Frauen geleistet. Afrikanische Landfrauen produzieren, verarbeiten und lagern bis zu
80% der Nahrungsmittel.
Die Agrarhandelsordnung nach der Uruguay-Runde

In der Uruguay-Runde des GATT (1986-1994) wurde die Landwirtschaft erstmals Gegenstand
der Welthandelsgespräche.6 Mit der Unterzeichnung des AoA und der WTO-Gründung 1995
wurde der Agrarhandel damit Teil der internationalen Handelsordnung, die die Landwirtschaft
aller 146 Mitgliedstaaten der WTO einschließt. Das Agrarabkommen basiert auf den drei Säulen
Marktzugang, interne Stützung und Exportsubventionen.
Den Marktzugang betreffend wurde eine durchschnittliche Zollsenkung um 36% für
Mitgliedstaaten vereinbart, für Entwicklungsländer 24%, denen auch eine längere
Implementierungsfrist eingeräumt wurde. Da jedoch in den Industrieländern die Märkte bei
Unterzeichnung des Vertrages bereits durch ein überdurchnittlich hohes Zollniveau
geschützt waren, stellen die verbleibenden 76% für die Agrarexporte der Entwick-
lungsländer nach wie vor eine hohe Eintrittshürde dar.
In der Uruguay-Runde wurde daneben eine Reduktion der internen Subventionen um
20%, für Entwicklungsländer 14% (bei längerem Umsetzungszeitraum) vereinbart. Berühmt
6 Die Handelsstreitigkeiten zwischen führenden Agrarexporteuren aufgrund von Dumping waren Anfang der 80er Jahre unerträglich geworden. In den USA und der EU hatte die interne Kritik an den hohen Agrarausgaben sowie der Druck der CAIRNS-Gruppe (Agrarexporteure wie Kanada, Australien, Argentinien) schließlich zum so genannten Blair-House-Abkommen geführt (1992). In diesem vereinbarten die USA und EU unter anderem eine Reduktion der Exportsubventionen (um 36% im Wert, um 21% in der Menge) – ein Kompromiss, der als wesentlicher Baustein des künftigen Agrarabkommens diente. Die bereits damals erhobene Kritik von entwicklungspolitischen NGOs, dass Dumping die Ernährungssicherung gefährdet und verboten werden müsse, spielte keine große Rolle. Im Rahmen des GATT sind Agrarprodukte sogar vom Dumpingverbot ausgenommen, und die verbleibenden 64% bzw. 79 % der Exportsubventionen sind durch die „Friedensklausel“ sogar sanktioniert. Die Friedensklausel verhindert Klagen vor dem WTO-Streitschlichtungsmechanismus, die sich auf interne Stützungen und Exportsubventionen beziehen; sie gilt bis Ende 2003. sind die verschieden gefärbten Boxen (green, blue, amber), die vor allem die Ausnahmen aus dieser Regel anführen. Beispielsweise bestimmt die Green-Box die regional- und sozi-alpolitischen sowie ökologischen Maßnahmen, die nicht in die Abbauverpflichtung fallen. Für Länder des Südens sind darin Programme für ländliche Entwicklung, Subventionen für Betriebsmittelinvestitionen oder Produktdiversifizierung ausgenommen. Exportsubventionen der EU und der USA waren bereits bei der Unterzeichnung des AoA
vor allem von entwicklungspolitischen NGOs scharf kritisiert worden. Nachdem bekannt
geworden war, dass beispielsweise die gestützten Rindfleischexporte der EU nach Westafri-
ka die wichtigen lokalen Absatzmärkte der Viehzüchter zerstört hatten, wurde ein sofortiges
Dumpingverbot gefordert. Nur mittels staatlicher Stützungen können Agrarprodukte unter
dem Selbstkostenpreis auf dem Weltmarkt abgesetzt werden, eine Praxis, die sich Entwick-
lungsländer nicht leisten können. Solange von den größten agrarexportierenden Ländern ei-
ne Politik der Orientierung am Weltmarktpreis und der Preisnivellierung nach unten betrei-
ben, sind darüber hinaus KleinbäuerInnen weltweit mit sinkenden Einkommen konfrontiert
und werden aus der Produktion verdrängt. Seit den Verhandlungen zum AoA fordern daher
Entwicklungsländer, kleinbäuerliche Organisationen und NGOs, das Dumping7 von Agrar-
produkten zu verbieten.

Das AoA hat vor allem den Bedürfnissen der Agrarpolitik der Länder wie EU, USA und anderer
Agrarexporteure Rechnung getragen: In der Debatte um die Halbzeitbewertung der Agenda
2000 hat die EU gezeigt, dass sie in der Agrarpolitik keineswegs vom eingeschlagenen Weg der
Entkoppelung von Einkommens- und Preispolitik abgehen will. Damit können weiterhin EU-
interne Preise dem Weltmarktniveau angeglichen werden, während das Schlagwort „Multifunk-
tionalität der Landwirtschaft“ als politisches Argument für eine demokratische Legitimation der
desaströsen Preisgestaltung herangezogen wird. Annähernd 10 Jahre nach Abschluss der Uru-
guay-Runde wird in den OECD-Ländern täglich 1 Milliarde US$ für Agrarsubventionen aus-
gegeben, seit 1997 steigen diese sogar wieder an. Im Jahr 2002 wurde in den USA die US-Farm
Bill verabschiedet, mit der das Agrarbudget um rund 18 Milliarden US$ jährlich erhöht wird.
Der Vorwurf, die EU und die USA folgen nach wie vor der Prämisse, „You liberalize, we sub-
sidise“, kann also nicht von der Hand gewiesen werden.
Folgen und Auswirkungen

Das Zusammenwirken der von IWF, Weltbank und WTO forcierten Liberalisierung in den Län-
dern des Südens mit dem anhaltenden Protektionismus im Agrarsektor der Industrieländer
schafft eine Situation, in der die Existenzgrundlagen der bäuerlichen Landwirtschaft ver-
nichtet
werden.
Die Subventionspraxis der Industrieländer konnte mit dem AoA fortgesetzt werden. Diese
betreiben damit auf dem Weltmarkt ein ruinöses Dumping zu Lasten der Landwirtschaft und
Ernährungssicherung vieler Entwicklungsländer.
In vielen Ländern ließ sich eine allgemeine Konzentrationstendenz im Agrarbereich beobach-
ten. Die Entstehung größerer Betriebe verstärkt die Marginalisierung von Kleinbauern, die Be-
schäftigungslosigkeit, Landlosigkeit und Armut.
In vielen Entwicklungsländern wurden Lebensmittelverarbeitungs und -vermarktungs-
strukturen zerstört
, weil sie nicht mit den billigen Importen konkurrieren konnten, während
sie für die Volkswirtschaft und für die Nahrungsmittelversorgung lebenswichtig waren.
7 Durch hohes Subventionsniveau der EU und USA wird die Vermarktung unterhalb der Produktionskosten ermög-licht. Die Interessen und Anliegen von frauendominierten/-spezifischen Branchen der Lebensmit-
telverarbeitung/-vermarktung sind in der nationalen und multilateralen Handelspolitik nicht
berücksichtigt.
Die bestehende Agrarhandelsordnung der WTO trägt in der derzeit umgesetzten Form also mehr
zur Vertiefung des Widerspruches von weiterer Überschussproduktion und verschärfter Mangel-
und Armutssituation sowie weiterer Marginalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten von
Frauen bei, als zu einer Problemlösung.8
Beispiel Haiti

Ein Beispiel für boomenden Import von Nahrungsmitteln und gleichzeitig steigender Unterer-
nährung
der Bevölkerung zeigt die Situation in Haiti. Als eines der ärmsten Länder der Welt
leben etwa zwei Drittel der Bevölkerung auf dem Land, 80% von ihnen in extremer Armut.
Etwa die Hälfte der Menschen in Haiti kann den täglichen Nahrungsbedarf lediglich zu 75%
decken. In Haiti ist Reis eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel; er wird überwiegend in
kleinbäuerlicher Produktion angebaut. Etwa 20% der Bevölkerung sind vom Reisanbau als wirt-
schaftliche Überlebensgrundlage abhängig. Daneben sind Tausende als LandarbeiterInnen,
HändlerInnen und MüllerInnen in der lokalen Reiswirtschaft beschäftigt. Die Handelsliberalisie-
rung für Reis starteten bereits in den 80er Jahren, auf Druck des IWF und der USA kam es je-
doch 1994/95 zum schwerwiegendsten Schritt, als der Importzoll von 35% auf 3% gesenkt wer-
den musste. In den Jahren 1986/87 waren die Preise um die Hälfte gesunken und 1995 ging die
lokale Produktion um 27% zurück; von 1985 bis 1999 stiegen die Reisimporte um das 30fache
an und die Nahrungsmittelhilfe war von null im Jahr 1994 auf 16 000 Tonnen im Jahr 1999
gestiegen. Der überwiegende Anteil der Importe ist subventionierter Reis aus den USA. Mehr
als 50 000 Familien hatten ihre Lebensgrundlagen durch Reisanbau verloren, es setzte ein regel-
rechter Exodus aus den ländlichen Gebieten Haitis ein. Seit Beginn der Liberalisierung hat sich
nach Angaben der FAO die Situation der Unterernährung für die Bevölkerung verschärft. Gal-
ten in den Jahren 1979-1981 etwa 48% der Bevölkerung als unterernährt, war in den Jahren
1996-98 der Prozentsatz auf 62 gestiegen.
Die Betroffenheit von Frauen

Die Genderblindheit der WTO-Abkommen allgemein wurde bereits an zahlreichen Stellen kriti-
siert. Der grundlegende Bedarf der gendergerechten Betrachtungsweise weiterer Liberalisierun-
gen wird auch z.B. durch eine Studie in Simbabwe deutlich. Dort hat ein Netzwerk von Frau-
enorganisationen im Zuge der Verhandlungen um Sonderabkommen mit EU und WTO eine
Studie durchgeführt, wieweit Frauenanliegen in Handelsabkommen berücksichtigt sind. In Sim-
babwe werden weite Teile des Handels von Frauen getragen, insbesondere des lokalen Handels
mit Nahrungsmitteln. Eines der Ergebnisse dieser Pilotstudie ist, dass in Vorbereitung der offi-
ziellen Verhandlungen Interessenvertretungen und zivilgesellschaftliche Organisationen zwar
eingeladen waren, allerdings lediglich die männlichen Repräsentanten angesprochen wurden.
Weil die wirtschaftlichen Aktivitäten von Frauen, wie Lebensmittelverarbeitung und -vermarkt-
ung, als informelle Tätigkeiten angesehen werden, sind Frauenorganisationen als Adressatinnen
oder als Interessensvertretungen gar nicht erst in Betracht gezogen worden.
8 Angesichts der Tatsache, dass die Entwicklungsländer zwei Drittel der WTO-Mitgliedstaaten ausmachen, der höchste Anteil von Armen und Hungernden und 96% der BäuerInnen weltweit in diesen Ländern lebt, kann die Be-deutung des Agrarabkommens für ihre wirtschaftliche Situation nicht oft genug betont werden.

Reformvorschläge und Forderungen
Änderung der grundsätzlichen Ziele:
Das Agrarabkommen muss derart umgestaltet werden,
dass es zur Reduzierung von Armut und Hunger in Entwicklungsländern vor allem im länd-
lichen Raum erhebliche Beiträge leistet. Der Handel ist in den Dienst der Erreichung des
Millenniumzieles – Halbierung der Zahl der extrem Armen und Hungernden bis 2015 – zu stel-
len.
Menschenrechte als Leitlinie: Die Mitgliedsstaaten der WTO müssen in der Präambel des
Marrakesh-Abkommens9 den Vorrang der Menschenrechte anerkennen, genauso muss in der
Präambel des Agrarabkommens der WTO der Vorrang des Rechts auf Nahrung aufgenom-
men werden. Für die Bereiche Nahrungsmittelhilfe, Überschussverwertung, Exportkredite, aus-
ländische Handels- und Investitionsförderung, staatliche Handelsunternehmen müssen klare
Vorgaben und Disziplinen festgelegt werden, die sich an der Umsetzung der wirtschaftlichen,
kulturellen und sozialen Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf Nahrung orientieren.
Abschaffung von Exportsubventionen und Kontrolle von Konzernen: Die Exportsubventi-
onen
der Industrieländer müssen abgeschafft, die Vermarktung ihrer Überschüsse auf den
Weltmärkten zu Dumpingpreisen gestoppt und alle Formen von marktverzerrenden internen
Stützungen reduziert werden.
Die Marktmacht von multinationalen Konzernen im Agrarbereich und ihr Missbrauch (in
Form von Dumping) muss ein Thema der Verhandlungen werden.
Berücksichtigung von Berichten und Forschungsergebnissen zu Auswirkungen der Liberalisie-
rung des Agrarhandels auf Lebensgrundlagen von KleinbäuerInnen, auf die sich verschieben-
den Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen in ländlichen und armen Haushalten.
Anderenfalls verschärft die multilaterale Agrarhandelsordnung soziale, wirtschaftliche und kul-
turelle Gewaltverhältnisse insbesondere gegen Frauen.
Nicht handelsbezogene Anliegen (Sozialstandards, Auswirkungen auf die Gesundheit, Kon-
sumenten-, Tier- und Umweltschutz, besondere und differenzierte Behandlung der Entwick-
lungsländer) müssen bei den Agrarverhandlungen berücksichtigt und sollten im Rahmen der
WTO-Verträge verankert werden. Dabei soll den Ländern des Südens ein vergleichbares Fi-
nanzvolumen als Verhandlungsgrundlage für Kompensationen eingeräumt werden.
Einrichtung der Development Box: Im Rahmen der besonderen und differenzierten Behand-
lung (Special and Differential Treatment)10 sollte eine so genannte Development-Box imple-
mentiert werden. Sie würde Anliegen aufgreifen, die sich mit wichtigen Zielbestimmungen der
ÖEZA decken. Die Development-Box muss folgende Vorkehrungen enthalten:
- Maßnahmen zum Schutz der einheimischen Produktion von Grundnahrungsmitteln und der
KleinbäuerInnen in Ländern des Südens vor Dumping mittels subventionierter Importe.
- Maßnahmen, die Entwicklungsländern eine größere Flexibilität zur Förderung der ländlichen
Entwicklung und der Ernährungssicherung sowie zur gezielten Förderung von KleinbäuerInnen
einräumen.
- Maßnahmen, die für die wirtschaftliche Entwicklung von Entwicklungsländern bedeutend
sind, insbesondere jene, die zur Stärkung und Entfaltung von produktiven Grundlagen für die
9 In diesem Abkommen erkennen die WTO-Mitglieder an, dass die Auswirkungen des Agrarabkommens auf die weltweiten Nahrungsmittelpreise arme Länder schädigen könnten und sagen eine entsprechende Entschädigung zu. 10 Die S&D Regel besagt, dass die Handelsregeln den unterschiedlichen Bedürfnissen von Ländern je nach ihrem Entwicklungsstand Rechnung tragen sollten. Ernährungssicherung dienen. Die Einrichtung der Development Box muss daher als integraler
Bestandteil jeder weiteren Verhandlung des Agrarabkommens aufgenommen werden.
Vorsicht bei Marktöffnung: Die Probleme der Ernährungssicherung der Länder des Südens
können nicht nur durch Marktöffnung im Norden gelöst werden. Eine solche ist sogar kontra-
produktiv, wenn sie zu einer verstärkten Exportorientierung und Konzentration in der Landwirt-
schaft führt und KleinbäuerInnen von GroßproduzentInnen an den Rand gedrängt werden.
Keine Bedingungen: Die Änderung des Agrarabkommens zum Ziel der nachhaltigen Ernäh-
rungssicherung in den Ländern des Südens ist eine Pflicht für die internationale Staatengemein-
schaft und damit auch für die österreichische Regierung. Jegliche Veränderungen sind nicht an
Bedingungen wie Zugeständnisse der Entwicklungsländer in anderen Handelsbereichen zu
knüpfen. Insbesondere ist abzulehnen, von Entwicklungsländern Zustimmung zu den neuen
Themen Investitionen und Wettbewerb als Gegenleistung für ein Entgegenkommen im Agrar-
sektor zu verlangen.
5) „New Issues“: Neue Bereiche (Auslandsinvestitionen, Wett-
bewerb, Transparenz beim staatlichen Beschaffungswesen
und Handelserleichterungen)

Hintergrund

Diese neuen Bereiche werden auch „Singapore Issues“ genannt, da sie bei der WTO-Minister-
konferenz in Singapur 1996 zum ersten Mal thematisiert wurden. Damals wurden Arbeitsgrup-
pen eingerichtet, um die Beziehungen zwischen Handel, Investitionen, Wettbewerb und Be-
schaffungswesen und Handelserleichterungen zu untersuchen.
Die USA, Japan und die EU haben größtes Interesse an der Einbeziehung dieser Bereiche in das
Mandat der WTO. Der Großteil der Länder des Südens ist dagegen, wenn auch – z.B. in der
Frage der Investitionen – teilweise vorsichtig positive Positionen zu erkennen sind. Die gegneri-
schen Länder sind der Meinung, dass die WTO-Agenda bereits heute viel zu überladen ist und
dass die allgemeine globale Handelsordnung und die bestehenden Abkommen unbedingt einer
Überprüfung aus der Sicht südlicher Länder und armer Bevölkerungsgruppen bedürfen. Dieser
Standpunkt wird von NGOs im Süden und im Norden geteilt. „Review, Repair, Reform“ und
„No to New Issues“ hat die Devise schon bei der WTO Ministerkonferenz in Seattle gelautet.11
Kontroversen und Konflikte

Bei der letzten Sitzung der letzten WTO-Ministerkonferenz im Jahr 2001 in Doha sprachen sich
13 Länder ausdrücklich gegen die Einbeziehung von „New Issues“ aus. Trotzdem wurden diese
Proteste nicht in die abschließende Doha-Erklärung aufgenommen12 und unterstellt, dass auf
Basis eines noch zu findenden ausdrücklichen Konsenses über die „Modalitäten“ von Verhand-
lungen Einigkeit darüber erzielt worden sei, Verhandlungen über die „Singapore Issues“ im
Anschluss an die 5. Ministerkonferenz in Cancún aufzunehmen. Die Doha-Erklärung verpflich-
tet die Mitglieder der WTO, in Bezug auf jede der „New Issues“ eine Reihe von zentralen Ele-
menten und Themen zu diskutieren, die im Hinblick auf die Konsensfindung über die Modalitä-
ten oder über das größere Thema der Wünschbarkeit von Verhandlungen über neue Abkommen
innerhalb der WTO maßgeblich sein könnten.13
Am weitesten sind die Vorbereitungen im Bereich der Investitionen gediehen, deshalb wird es
außerordentlich wichtig sein, in dieser Hinsicht vor und in Cancún besonders aufmerksam zu
sein. Nachdem ursprüngliche Vorschläge in Singapur abgelehnt worden waren und auch das
MAI, das „Multilateral Agreement on Investments“, vor allem am heftigen Widerspruch der
Zivilgesellschaft und Frankreichs scheiterte, kursiert jetzt im Rahmen der WTO wieder ein äu-
ßerst investorenfreundlicher Entwurf, das „Multilateral Investment Agreement“ (MIA). Die-
ser stellt ein schlagkräftiges Instrument zum Schutz von Investorenrechten dar.14
Gegen den Abschluss eines solchen Abkommens sind Kenia, Uganda und Indien; relativ neutral
verhalten sich karibische und einige afrikanische Länder; teilweise befürwortet wird eine um-
fassendere Investitionsregelung von einigen süd- und lateinamerikanischen Ländern, da sich
11 Vgl. WIDE: WTO Position Paper. Strategies and Action Policies for the 3rd WTO Ministerial. Brüssel 1998. 12 Vgl. Hilary Coulby: Investment, Competition and Government Procurement: Positive Alternatives to the WTO Agenda. OXFAM 2003, S. 3. 13 Die Länder des Südens sollen damit geködert werden, dass ihre Anträge bezüglich der Umsetzungsprobleme und ihre Forderungen nach besserem Zugang zu den Märkten des Nordens innerhalb des Post-Doha Arbeitsprogramms als Paket in Betracht gezogen werden, wenn sie den Verhandlungen über „New Issues“ in der WTO zustimmen. 14 Zu diesen Rechten zählen die folgenden: Unbeschränktes Niederlassungsrecht, Inländerbehandlung, Investoren-schutz, Abschaffung staatlicher Beschränkungen für Investoren, Freiheit von Kapitalzu- und -abflüssen, Vorrangig-keit der WTO-Streitbeilegungsinstanz vor nationalem Recht. diese davon Schutz gegenüber den sehr aggressiv auftretenden USA erhoffen. Viele NGOs aus
Nord- und Süd sind dagegen, wie auch aus einem Statement bei den Vorbereitungsverhandlun-
gen der WTO für Cancún im März 2003 in Genf zu entnehmen ist.15
Ein Bereich, in dem es bereits Vorbilder gibt, ist der des öffentlichen Beschaffungswesens, da
bereits ein plurilaterales Abkommen für staatliches Beschaffungswesen existiert.16 Der Großteil
der WTO-Mitglieder ist diesem aber nicht beigetreten. Als Argument der Befürworter wird das
Problem der Korruption angeführt.
Folgen und Auswirkungen

Die geplanten Abkommen dienen dazu, die Expansion der transnationalen Konzerne zu er-
weitern und die Unabhängigkeit und die Interventionsmöglichkeiten der Staaten einzuschrän-
ken. In der Sprache der WTO heißt das, dass alle genannten Bereiche den „Kernprinzipien der
WTO“ untergeordnet werden sollen, die als Transparenz, Meistbegünstigung und Inländerbe-
handlung definiert sind.
Am weitreichendsten sind wohl die Auswirkungen im Bereich der Investitionen. Trotz der
glühenden Verteidigungsreden, die von der EU, den USA und Japan zugunsten der segensrei-
chen Auswirkungen von ausländischen Investitionen für die menschliche Entwicklung ge-
schwungen werden, ist unbestritten, dass das Gegenteil der Fall ist. Ausländische Investitionen
werden hauptsächlich in jene Bereiche investiert, die schnellen Profit bringen, in Großprojekte
in der Landwirtschaft und der verarbeitenden Nahrungsmittelindustrie, in der Großindustrie, im
Mineralabbau, im High-Tech-Bereich etc. Ein großer Teil von Auslandsinvestitionen fließt ge-
genwärtig in so genannte „Offshore-Zentren“ und „Freie Produktionszonen“, die jenseits
aller entwicklungspolitisch und menschenrechtlich vertretbaren Standards liegen. Gewinne wer-
den in der Regel nicht reinvestiert, sondern fließen in das Ursprungsland zurück, oder werden
am internationalen Kapitalmarkt angelegt. Die Steuerflucht mit Geldern transnationaler Konzer-
ne aus den Ländern des Südens beträgt bereits astronomische 50 Milliarden Dollar pro Jahr.17
Zudem sind ärmere Länder in der Regel von den Investitionsflüssen ausgeschlossen. Die Ar-
beitsbedingungen in den damit verbundenen Unternehmen und Fabriken sind zudem oft ausbeu-
terisch und umgehen bestehende internationale, nationale und lokale Regelungen. Das gleiche
gilt für die Beachtung von Regelungen zum Schutz der Umwelt. Aus dem vorliegenden Entwurf
geht hervor, dass die Befürworter keinerlei sozial, menschenrechtlich und ökologisch motivierte
Einschränkungen gelten lassen wollen. Selbstverständlich wollen sie sich auch nicht auf die
ausländischen Direktinvestitionen (FDIs) beschränken, sondern auch Portfolioinvestitionen
(in der Regel sind das Ankäufe von Aktien durch Ausländer an lokalen Börsen), bei denen der
Entwicklungsbezug nicht mehr nachweisbar ist, einbeziehen. Wie die Wirtschaftsexpertin Mari-
ama Williams18 es ausdrückt, ist klar, dass die „soziale Verantwortung von Unternehmen
nicht auf der Tagesordnung des MIA“ steht.19 Das neue Investitionsabkommen, wäre, wenn es
wirklich zustande käme, nicht weniger als ein „Abkommen zum Schutz von Investoren.“
Sollte ein Abkommen für Wettbewerbsbestimmungen in die WTO aufgenommen werden,
würde es den Ländern des Südens und Ostens zunehmend erschwert werden, sowohl ihre eigene
Entwicklungspolitik als auch ihre Unterstützungspolitik zum Aufbau der Wettbewerbsfähigkeit
ihrer einheimischen Unternehmen weiter zu verfolgen.
15 http:www.igtn.org/Investment/NGO Investment.pdf. 16 Österreich ist diesem bereits im Rahmen der EU beigetreten. Auf den Großteil der WTO Mitglieder trifft dies aber nicht zu. 17 Hilary Coulby, a. a. O., S. 4. 18 Sie ist Mitglied des südlichen Frauennetzwerkes DAWN und von IGTN (International Gender and Trade Net-work). 19 Mariama Williams: Is there a Constructive Role for a Multilateral Investment Agreement in the WTO? In: IGTN Monthly Bulletin, Jg. 3, Nr. 9, S. 3.
Die Entwicklungen im Beschaffungswesen stellen zusammen mit den Vorschlägen zur Reform
des GATS und zum Abschluss eines Investitionsabkommens Teilstücke einer umfassenden
Strategie zur Öffnung und Umstrukturierung der südlichen Länder aus der Perspektive westli-
chen und transnationalen Kapitals dar. In der Praxis werden dadurch mittlere und kleine natio-
nale Unternehmen fortlaufend verdrängt werden. Da es sich dabei oft auch um Betriebe handelt,
die nach den Prinzipien des fairen Handels, der ökologischen Nachhaltigkeit und der sozialen
und Gendergerechtigkeit arbeiten, ist auch aus dieser Richtung nicht nur eine weitere Verar-
mung und ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit, sondern auch die weitere Marginalisierung der
Frauen und ökologische Zerstörung zu befürchten.
Die Betroffenheit von Frauen

Diese kommt insbesondere im Zusammenhang mit Investitionen zum Ausdruck. Aber auch alle
anderen Bereiche stehen im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen und Entwicklungsvor-
aussetzungen von Frauen. Die WTO ist trotz ihrer Beteuerungen in der Erklärung von Doha
nicht „entwicklungsfreundlich“ und setzt sich über zahlreiche verbindliche Menschenrechtsin-
strumente hinweg. Sie ist bis jetzt sowohl in ihrer organisatorischen Struktur wie in ihren Zielen
und ihrer Umsetzung völlig „genderblind“.
Feministische Netzwerke im Süden und Norden wie DAWN, IGTN, WIDE und WICEJ spre-
chen sich klar gegen das angepeilte MIA aus und weisen darauf hin, dass das MIA die bereits in
allen Ländern vorhandene Benachteiligung, Marginalisierung und Ausbeutung von Frauen noch
weiter verstärkt. Die negativen Auswirkungen von Direktinvestitionen im Bereich der Spar- und
Steuerpolitik und der Makroökonomie schließen direkt an die negativen Auswirkungen der
Strukturanpassungsprogramme auf Frauen an und verstärken die teilweise verheerenden Konse-
quenzen anderer WTO-Abkommen wie AoA und TRIPS.
Die Bedingungen, zu denen FDIs ins Land kommen und von der Regierung akzeptiert werden,
entscheiden nicht nur allgemein über die Überwindung der Massenarmut, sondern vor allem
über die langfristigen Perspektiven des Empowerment von Frauen und über ökologische Nach-
haltigkeit. Um für ausländische Geldgeber attraktiv zu sein, werden oft Teile nationaler Budgets
umgelenkt und von anderen Sektoren, in der Regel dem sozialen Bereich, abgezogen. Die Infra-
struktur, das Transport- und Energiewesen, die Wasserversorgung, sanitäre Einrichtungen sind
auch von staatlichen Budgets und von ausländischen Direktinvestitionen abhängig. Je nachdem
ob sie von diesen unterstützt, vernachlässigt oder ausgebeutet werden – hier ergeben sich enge
Verflechtungen mit den neuen Zielvorstellungen der WTO hinsichtlich des GATS – erhöhen
oder vermindern sich auch die Chancen von armen Frauen und Kindern. Außerdem erhöht sich
durch ausländische Investitionen in der Regel der Druck zur Bereitstellung billiger und zu allen
Bedingungen verfügbarer Arbeitskräfte, wobei es sich großteils um Frauen handelt, was drama-
tische Auswirkungen auf die Entwicklung des gesamten Arbeitsmarkts hat.

Reformvorschläge und Forderungen

Keine neue Runde! Stopp der Überlegungen zu Verhandlungen über neue Themenberei-
che.
Aufgrund der negativen Ergebnisse der bisherigen Liberalisierungen fordern die Entwick-
lungsländer, dass zuerst umfangreiche externe und unabhängige Evaluierungen bisheriger Libe-
ralisierungen und Wohlstandssteigerung in Hinblick auf ökologische, soziale- und Genderge-
rechtigkeit durchgeführt werden müssen. Bis zum Abschluss der Evaluierungen sollten daher
alle laufenden Verhandlungen zu weiteren Liberalisierungsschritten ausgesetzt werden.
Stattdessen braucht es die Überprüfung bisheriger Regelungen in diesen Zusammenhängen
aus der Sicht der sozialen, ökologischen und genderspezifischen Gerechtigkeit ein.
Die meisten Forderungen decken sich mit den bereits im Eingangskapitel vorgebrachten.
Grundsätzlich müssen folgende Schritte ergriffen werden:
Erhebung der bisherigen Auswirkungen und Erfahrungen im Bereich der bisherigen Re-
gelung von Investitionen
(unter anderem im Rahmen des TRIMS20), womöglich durch die
UNCTAD, und Ausarbeitung von aufbauenden Strategien zur Investitionskontrolle, ebenfalls
im Rahmen der UNCTAD oder einer neu zu gründenden Organisation im Rahmen der UN,
unter Heranziehung vorliegender Vorschläge von Regierungen südlicher Länder21 und von der
Zivilgesellschaft aus Süd und Nord für verbindliche Kontrollen von Investoren und Investi-
tionen
. Annahme international verbindlicher Regelungen zur Kontrolle transnationaler
Konzerne
und Annahme verbindlicher Verhaltenskodizes.
Berücksichtigung von Anliegen der nachhaltigen und sozialen Entwicklung und der Gender-
gerechtigkeit (vor allem kleine Unternehmerinnen) in allen in diesem Punkt angesprochenen
Bereichen.
20 Trade Related Investment Measures, WTO. 21 In Doha 2001 wurden Richtlinien für die WTO-Arbeitsgruppen über Investitionen erarbeitet, die die „Verantwor-tung von Wirtschaftsunternehmen“ (corporate responsibility) und die „Verantwortbarkeit von ausländischen Investo-ren“ (accountability of foreign investors) sicherstellen soll. Detaillierte Informationen dazu siehe: Hilbary Coulby, a.a.O., S. 13. 6) Ausblick

WTO-Ministerkonferenz: eine „Entwicklungsrunde“?

Das zentrale handelspolitische Ereignis dieses Jahres wird die 5. WTO-Ministerkonferenz in
Mexiko sein. Im Vorfeld ringen die WTO-Mitglieder um Kompromisse in zentralen Themen-
feldern wie Landwirtschaft, Dienstleistungen, geistiges Eigentum und neuen Themen wie Inves-
titionen. Bislang ist bei den bisherigen Vorbereitungen der WTO für Cancún aus Sicht der ent-
wicklungspolitischen NGOs keinerlei Bereitschaft der Industrieländer erkennbar, der Rhetorik
einer „Entwicklungsrunde“ – wie 2001 in Doha festgelegt – auch substanzielle Zugeständnisse
folgen zu lassen.
Es braucht eine Kehrtwende des Handelssystems, die den Schwerpunkt von der derzeit vor-
herrschenden Liberalisierung und Marktöffnung zu mehr wirtschafts- und handelspolitischem
Spielraum für die so genannten Entwicklungsländer und andere wirtschaftlich schwächere Län-
der verschiebt. Das geht auch aus einer Studie des UNDP mit dem Titel „Making Global Trade
Work for People“ (2003) deutlich hervor.22
Die UNDP-Studie warnt vor einer Ausweitung des Mandats der WTO auf neue Bereiche. Die
Autoren setzen auf rechtlich bindende Selbstverpflichtungen der WTO, Entwicklungsländer mit
technischer Hilfe bei der Implementierung gegenwärtiger und zukünftiger WTO-Abkommen zu
unterstützen. Die Studie, Ergebnis eines dreijährigen UNDP-Projektes, erkennt zwar den ent-
wicklungspolitischen Nutzen von Marktöffnung und Handelsliberalisierung an, allerdings nur in
spezifischen Situationen und gewissen Wirtschaftssektoren. Die Studie ist in vier Ratschlägen
zusammenfassbar: Handel ist nichts weiter als ein Mittel zum Zweck; das globale Handelsre-
gime muss die Unterschiedlichkeit nationaler Gesetzesbestimmungen respektieren und politi-
schen Freiraum für Entwicklungsländer garantieren; alle Länder haben das Recht auf Integrität
ihrer Entwicklungspräferenzen; und kein Land hat das Recht, seine Vision eines Institutionen-
gefüges anderen aufzuzwingen.
In einem solchen Handelsregime wäre die Prüfung von Handelsvereinbarungen auf ihre Aus-
wirkungen auf menschliche Entwicklung, asymmetrische Verpflichtungen für Industrie- und
Entwicklungsländer, Mehrheitsvoten anstelle eines auf politischem Zwang beruhenden Kon-
senssystems, Geschlechtersensitivität und Einbindung lokaler betroffener Gruppen in Entschei-
dungsprozesse die Norm.
Handel muss auf das Wohl der Menschen ausgerichtet sein

Entwicklungspolitische NGOs legen Wert auf die Feststellung, dass sie nicht a priori gegen
Wirtschaft oder Handel sind! Doch es kommt auf die Spielregeln an, unter denen der globale
Handel stattfindet: Handel muss auf das Wohl der Menschen ausgerichtet sein. Die Achtung,
Förderung und Durchsetzung der Menschenrechte muss den unabdingbaren Rahmen für alle
handelspolitischen Schritte und Maßnahmen darstellen. Armutsbekämpfung und nachhaltige
Wirtschaftsentwicklung ohne Raubbau an den sozialen und ökologischen Ressourcen
der
Menschheit haben für die entwicklungspolitischen NGOs Priorität bei der Gestaltung des Welt-
handels. Handelsliberalisierung sichert nicht automatisch menschliche Entwicklung und mehr
Handel wirkt sich nicht immer positiv auf Mensch und Umwelt aus. Multilateraler Handel darf
daher nicht auf der Perspektive der ständigen Erweiterung des Marktzugangs basieren, sondern
muss sich zu einer Perspektive der menschlichen Entwicklung bekennen. Die Ziele der mensch-
lichen Entwicklung wurden in den „Millennium Development Goals“ im Jahr 2000 von der
internationalen Gemeinschaft anerkannt.
22 Kamal Malhotra: Making Global Trade Work for People, New York 2003, UNDP Die NGOs fordern daher die politisch Verantwortlichen in Österreich auf, sich national, auf
europäischer Ebene und international dafür einzusetzen, dass das multilaterale Handelssystem
den Menschen ermöglicht, von dem möglichen positiven Beitrag, den der Handel auf die
menschliche Entwicklung haben kann, auch wirklich profitieren zu können.
Entwicklungspolitische NGOs setzen sich für eine gerechte Teilhabe der Entwicklungsländer
am Welthandel und eine soziale Wirtschaftspolitik auf internationaler Ebene ein. Zu den in den
einzelnen Kapiteln angeführten Forderungen und Reformvorschlägen ist es notwendig, dass
multilaterale Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialabkommen Vorrang vor den Handels-
und Investitionsregeln der WTO
haben. Es gibt auch innerhalb der Vereinten Nationen eine
Institution, die für den Welthandel zuständig ist: die Konferenz der Vereinten Nationen für
Handel und Entwicklung (UNCTAD), die sich nicht nur mit Freihandel beschäftigt, sondern
versucht, das Welthandelssystem entwicklungsverträglich zu gestalten. UNCTAD und ILO,
die internationale Arbeitsorganisation, müssen daher gestärkt werden.
Von entscheidender Bedeutung ist auch die Verantwortung der transnationalen Konzerne.
Sie müssen ihre soziale, ökologische und menschenrechtliche Verpflichtung anerkennen und in
ihrem Handeln berücksichtigen. Freiwillige Standards oder Verhaltenskodices sind zwar ein
wichtiger erster Schritt, reichen aber nicht aus. Ein Vorschlag betrifft die Einrichtung eines
Globalen Standortschutzabkommens, welches die Investoren-Pflichten regelt. Dies würde
bedeuten, dass es keine Steuerbefreiungen oder Subventionen für Direktinvestoren gibt, statt-
dessen aber eine einheitliche Konzernbesteuerung eingeführt wird. Die Konzerne müssen in
Gastländern dieselben Arbeitsschutz- und Umweltnormen einhalten wie „zu Hause“, um Sozial-
und Ökodumping zu verhindern. Sie sollen Steuern dort zahlen, wo tatsächlich Umsätze ge-
macht werden, damit die Konzerne die Infrastruktur auch entsprechend mitfinanzieren. Die
Gewinne müssten vor Ort versteuert werden, um einen nachhaltigen ökonomischen Entwick-
lungseffekt im Gastland sicherzustellen.

Source: http://www.globaleverantwortung.at/images/doku/positionspapiercancun.pdf

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